Nirgendwo her, nirgendwo hin

Der Kölner Indie-Held Keshav Purushotham absolviert mit »Keshavara« auch ohne Erleuchtung sein adäquates Coming-out als Solist

Es geht los mit einem etwas eckigen Groove und einer Nile-Rodgers-artigen Funkgitarre, vor dem geistigen Auge wabert der Pink angestrahlte Nebel durch die New Yorker 80ties-Disco. Allerdings ist es dann nicht die androgyne Stimme von Grace Jones, die nach den Eröffnungstakten einsetzt, sondern die des Kölner Musikers Johannes Stankowski alias Gío, der das eingängige Gesangssample zum Refrain von »Mirrors and Smoke« beigesteuert hat. Durch die Strophen und die restlichen Songs von »Keshavara« führt aber größtenteils die Stimme des Meisters selbst: Keshav Purushotham, gut eingeführter Protagonist der Kölner Indieszene, bekannt als Sänger von Timid Tiger, die schon seit 2002 für ausgefuchst-lässigen Pop auf internationalem Niveau stehen. Timid Tiger liegen allerdings seit geraumer Zeit auf Eis, fünf Jahre lang werkelte -Purushotham seither an seinem Coming-out als Solist. Dass dieser Weg kein leichter gewesen ist, beweisen verschiedene angefangene und nicht zum Abschluss geführte Konzepte unter den Namen John Goldtrain und Keshav Shotham.

 

»Ich war sehr lange auf der Suche nach dem, was ich überhaupt machen möchte, habe viel ausprobiert in unterschiedliche Richtungen, mich aber auch immer wieder ablenken lassen«, erzählt der Anfangdreißiger im Interview. Zeitweise habe er sich gefühlt wie der von Phillip Seymor Hoffman gespielte Protagonist in Charlie Kaufmans Film »Synecdoche, New York«, der ein neues, großes und wahres Theaterstück kreieren möchte, das die Alltäglichkeit des gesamten Lebens abbilden soll, dabei aber nie zum Ende kommt und sich schließlich vollkommen verzettelt. 

 

Eine vom Goethe Institut gesponserte zweimonatige Künstlerresidenz in Indien brachte schließlich die Wende und die nötige Fokussierung. Im Heimatland seines Vaters (dem bekannten Perkussionisten Ramesh Shotham) begab Purushotham sich auf die Suche nach seinen Wurzeln, schrieb neue Songs und musizierte mit örtlichen Musikern in den Studios von Chennai und Pondicherry. »Diese Erfahrung hat mich wirklich weitergebracht«, schwärmt der Multiinstrumentalist, »ich merkte, dass das die Sachen sind, die ich fertigstellen muss«.

 

Wer nun vermutet, »Keshavara« sei eine Art Weltmusik-Album mit Referenzen an Bollywood oder klassischer indischer Musik geworden, liegt falsch. Östlich Klänge tauchen eher fragmentarisch als Klangschnipsel und field recordings auf, wenn beispielsweise die Cousinen von Purushotham einen Chor einsingen, ansonsten dominieren dieselben westlichen Popstyles zwischen Indiepop, HipHop und Elektrospielereien, die zuletzt auch Timid Tiger prägten. Lustiges Gimmick als Überleitung zwischen den Songs und bisweilen auch eingestreut als Samples sind alte Zitate des durch die Beatles zur Pop-Ikone gewordenen Gurus Maharshi. Sätze wie »You do not come from somewhere, you do not go anywhere«, die man sich, unterlegt mit einem Sonnenaufgang, auch prima als Facebook-Mem vorstellen könnte. Eine wirkliche Philosophie stecke aber nicht dahinter, winkt Purushotham ab: »Es ist schon die Suche nach meinen Wurzeln und nach dem, was ich machen möchte. So viel hab ich aber gar nicht herausgefunden, nur dass die Suche dann irgendwie die Platte geworden ist.«

 

Was allerdings auffällt an »Keshavara«, ist der kleinteilige Soundfetischismus, mit dem das Album zu begeistern weiß. Kopfhörer aufsetzten lohnt sich, ansonsten entgehen einem womöglich all die liebevollen Soundschnipsel, Keyboardblinks und rhythmischen Figuren, aus denen sich die Arrangements wie Mosaiksteine zusammensetzen, und über die -Purushotham mit souverän unaufgeregter Stimme flowt. Man merkt, aus welch reichhaltigem Fundus der auch als DJ umtriebige Musiker schöpft. Der vom ihm gespannte Regenbogen reicht von Bob Dylan (aus dessen Song »You belong to me« er wörtlich zitiert) über die Gorillaz (die poppig Lieblichkeit in Kombination mit dem HipHop-Swag) bis zum derzeit so gefeierten Autoren-HipHop eines Frank Ocean oder Kendrik Lamar. Dass die Musik bei all den Verweisen locker geschlagen ist, sticht als eine ihrer großen Errungenschaften heraus.

 

Obwohl Solo-Debüt ist das Album das Ergebnis von Teamwork: Timid Tiger Bassist Christopher »Molto« Martin sorgt für die tiefen Töne und Schlagzeuger Steffen »Steady« Wilmking, der sich etwa als Produzent von Casper einen Namen gemacht hat, half bei Produktion und Abmischung. Der kreative Prozess startet aber in der Abgeschiedenheit: »Oft hab ich eine Idee im Studio auf der Gitarre, baue da selber ganz lange dran rum und lasse erst später Ideen von außen zu.« Dank einer beeindruckenden Akribie und Koordinationsleistung ist »Keshavara« so etwas wie eine eierlegende Wollmilchsau geworden: catchy Songs, meisterhaftes Sounddesign und coole Attitüde mit internationalem Flair. Damit sollte was gehen!

 

Tonträger: »Keshavara« erscheint am 30.9. auf Papercup Records (Indigo)