Mit Leichengas-Antrieb voraus

In Swiss Army Man spielt Daniel Radcliffe

weit mehr als ein Furzkissen

Manny wird am Strand einer Insel angeschwemmt, deren unfreiwillig einziger Bewohner Hank gerade im Begriff ist, seinem Leben vor lauter Einsamkeit ein Ende zu setzen. Die neue Lebensfreude dieses Robinsons über den Freitag, den die Fluten anspülen, ist allerdings von kurzer Dauer: Manny nämlich ist nicht nur mausetot, sondern auch randvoll gefüllt mit geräuschvoll entweichendem Leichengas. Doch stellt sich das als Glücksfall heraus: Wenig später saust Hank auf Mannys Rücken über die Wogen des Ozeans — die Furzerei erweist sich als wunderbar kräftiger Schub-Antrieb, der die beiden ans rettende, Festland bringt.

 

»Swiss Army Man« beginnt tatsächlich so hirnverbrannt. Auch im folgenden wird jede Gelegenhiet für Bizarres genutzt: Dem Leichnam zum Dank verpflichtet, lässt Hank diesen nicht am Ufer zurück. Er schlägt sich mit ihm durch einen endlosen und auffällig vermüllten Wald, in dem der Tote plötzlich zu reden beginnt. Weil der von »Harry Potter«-Darsteller Daniel Radcliffe herausragend kraftlos verkörpert Manny von seinem früheren Leben und der Gesellschaft keinerlei Begriff mehr hat, nutzt Hank den herumliegenden Müll, um der Leiche zu veranschaulichen, was es heißt, mit anderen Menschen zu leben, sie zu lieben und an ihnen und an sich zu verzweifeln. Der Marsch durch den Wald wird zu einer gleichermaßen enthusiasmierenden wie melancholischen Lektion in Sachen conditio humana. In deren Verlauf erweist sich Manny als »Schweizer-Taschenmesser-Mann« mit schier endlosen Einsatzmöglichkeiten: etwa als Wasserspender, Rasierapparat, Holzsäge und Schießrampe, aber auch als Orientierungshilfe mittels einer die Richtung weisenden Erektion.

 

»Swiss Army Man« ironisiert seine beknackten Ideen an keiner Stelle. Im Gegenteil: Der Film sucht die jauchzende Ekstase darüber, am Leben zu sein, lieben zu können, Freunde zu haben. Mag er mit seinem selbstgebastelten, skurrilen Look auch nahe am generischen Indiewood-Kino Marke Sundance siedeln, übersteigt dieses Kinowunder solche Limitationen doch glatt: »Swiss Army Man« sensibilisiert für die Zurichtungen einer Gesellschaft, die für ihre Teilnehmer in erster Linie Identitätsschablonen anzubieten hat. Auch deshalb: Ein wunderbar queerer Film.

 

Swiss Army Man (dto) USA 2016,
R: Daniel Scheinert, Dan Kwan,
D: Paul Dano, Daniel Radcliffe,
Mary Elizabeth Winstead, 97 Min.
Start: 13.10.