Liebe an hoffnungslosen Orten

Andrea Arnolds American Honey ist ­pubertär — und das ist gut so

Zu Beginn scheint die 18-jährige Star (Sasha Lane) Protagonistin eines klassischen Elends-Dramas: Ein armes junges Ding, allein mit zwei Kleinkindern, wühlt im Müll und betritt einen Walmart, irgend-wo in Kansas. Aber dann schallt Rihannas Stimme durch die Lautsprecher des Supermarkts: »We found love in a hopeless place«, und ein paar Flure weiter fängt Jake (Shia -LaBeouf) an zu tanzen. Es ist der Beginn eines wilden Trips: Star liefert die Kleinen bei deren leib-lichen Eltern ab und schließt sich einer Gruppe jugendlicher Outcasts an, die unter der strengen Anfüh-rerin Krystal (Riley Keough) mit einem Bus durchs Niemandsland reisen und Zeitschriften-Abos -verkaufen.

 

Die britische Regisseurin Andrea Arnold (»Wuthering Heights«) hat für die Recherche selbst eine solche Drückerkolonne begleitet, doch ist ihr Film fern von jeder dokumentarischen Unmittelbarkeit. Anstatt die Jugendlichen in eine Milieustudie einzusperren, hat sie deren lautes und rastloses Le-ben in die filmische Form selbst übertragen. So folgt eine aufgeregte Hand-kamera den Außenseitern durch den Mittleren Westen, und auch die zahlreichen Hip-Hop- und Trap-Tracks sind nicht nur Untermalung, sondern werden als Bausteine der Vergemeinschaftung offenbar.

 

»American Honey« ist also kein Film, der genüsslich die berühmten »Schattenseiten des Amerikanischen Traumes« zeigt und diesen schadenfroh mit einer elendigen Realität abgleicht. Arnold nimmt die Kraft des Träumens ernst, ohne deshalb in On-the-Road-Romantik abzugleiten — die Fahrten über die Highways sind immer auch ökonomische Notwendigkeit. Dabei korrigiert der Film auch das Geschlechter-Ungleichgewicht der Beatnik-Tradition: Im Zentrum steht nicht der getriebene Kerl, sondern eine nach dem Leben lechzende junge Frau, die Rihannas Stimme und dem eigenen Begehren folgt.

 

Unausgereifte Figuren, ungerichtetes Erzählen und nicht zuletzt seine Länge wurden dem Film nach seiner Premiere in Cannes vorgeworfen. Eine Kritik, die weitgehend ins Leere läuft: Diese Kids sind eben keine Figuren, die wissen, was sie wollen und wer sie sind. »American Honey« ist ein Epos des Sich-Findens, ein pubertärer Film, der immer zu viel gleichzeitig möchte. Ein amerikanischer Traum, geträumt mit offenen Augen für soziale Realitäten, aber eben auch mit dem Herzen.

 

American Honey (dto) USA 2016,
R: Andrea Arnold, D: Sasha Lane,
Shia LaBeouf, Riley Keough, 162 Min. Start: 13.10.