Dankbare Schüler, zufriedene Eltern — Geschenke und Souvenirs im Büro des Geschäftsführers der Gülen-Schule | Foto: Manfred Wegener

Religion im Handgepäck

Die Dialog-Schule in Buchheim steht dem Prediger Fethullah Gülen nahe. Seit dem Putschversuch in der Türkei hat sie viele Schüler verloren. Verfolgt die Schule eine religiöse Agenda?

Die meisten Schüler sind gerade auf Klassenfahrt. Nur vor dem Sekretariat des Schulzentrums »Dialog« in Buchheim drücken sich ein paar Kinder herum, warten auf Freunde oder wollen ihre Eltern anrufen. Als sich die Tür zum Büro des Schulgeschäftsführers öffnet, reicht die Sekretärin eine Packung pastellfarbener Süßigkeiten hinein: »Die wurden gerade für Sie abgegeben.« Der Geschäftsführer nimmt das Präsent freudig entgegen.  

 

Osman Esen, der die Schule mit aufgebaut hat und ihre Geschäfte sowie die des Schulträgers »Bildung und Perspektiven« leitet, gibt seinen Posten demnächst ab. Das habe »rein private Gründe« und nichts zu tun mit den Veränderungen an der Schule, die seit dem Putschversuch im Juli in der Türkei vor sich gehen. Der Jurist erklärt sein Engagement für die Schule offen damit, ein Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sein und dessen Aufruf »Baut Schulen statt Moscheen« zu folgen.

 

In Deutschland gibt es rund 24 Gülen-nahe Privatschulen, 300 Vereine und 150 Nachhilfeeinrichtungen, weltweit haben Anhänger Gymnasien, Realschulen und Kitas in mehr als 140 Ländern errichtet.

 

Seit der türkische Präsident behauptete, Gülen — einst enger Verbündeter Erdoğans — stecke hinter dem Putschversuch, gelten diese Einrichtungen unter Erdoğan-Anhängern als Teil eines Terrornetzwerks, so auch die Schule in Buchheim.

 

Über zehn Prozent der Schüler wurden seither von ihren Eltern abgemeldet. Meist auf Druck von Verwandten — aber auch das türkische Konsulat schaltete sich ein und legte dem Mülheimer Bezirksbürgermeister nahe, die Schule zu schließen. Esen selbst erstattete Anzeige, weil er Todesdrohungen bekam. Schüler bleiben weg, Spenden bleiben aus — nach den Herbstferien werden Klassen zusammengelegt, Lehrer verzichten auf ein bis zwei Stunden Unterricht pro Woche. Die Schule leckt ihre Wunden.

 

2007 in den Räumen des ehemaligen Arbeitsamts am Arnsberger Platz als private Ersatzschule gegründet, hat die Schule bald einen guten Ruf unter türkischstämmigen Migranten. Auf ihrem Gymnasialzweig — inzwischen gibt es auch eine Realschule — schafften 95 Prozent eines Jahrgangs das Abitur. Von diesem Erfolg beflügelt, flossen reichlich Spenden von Eltern und Gülen-Anhängern, und der Schulträger errichtete einen 25 Millionen Euro teuren Neubau, ausgelegt für 700 Schüler.

 

Osman Esen zeigt die mit allem Schnickschnack ausgestatteten Chemieräume, die digitalen Whiteboards  in den Klassenzimmern, die elegante Sporthalle. Er spricht viel vom Dialog zwischen den Kulturen, von offener Lernatmosphäre und den Erfolgen der Schüler. Obwohl ihm der Stolz auf all das anzumerken ist, wirkt der Neubau seltsam trostlos und überdimensioniert.

 

»Es wäre sehr bedauerlich, wenn diese Schule ihre bisherige Arbeit nicht fortsetzen könnte«, sagt Horst Thelen, schulpolitischer Sprecher der Kölner Grünen, mit Blick auf die Abmeldungen und die damit verbundenen finanziellen Probleme. »Die Schule erhöht die Chancen von Kindern und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund auf eine gute Bildung.« Ein Argument, das Befürworter immer wieder nennen: Die Privatschulen der Gülen-Bewegung schaffen Chancengerechtigkeit, wo das deutsche Bildungssystem versagt. Denn auch 16 Jahre nach der ersten PISA-Studie ist die Herkunft eines Schülers in Deutschland noch immer mitentscheidend für seine schulischen Leistungen. Zudem unterscheide sich der Träger prinzipiell nicht von anderen Privaten wie der katholischen Kirche, so Thelen. Es gilt der NRW-Lehrplan, die Bezirksregierung überprüft die Schule. »Wir sind eine ganz normale Schule«, sagt Osman Esen.

 

So normal ist die Schule allerdings auch wieder nicht. Es fängt schon beim Schulgeld für das Ganztagsangebot an. Der Höchstsatz liegt bei 240 Euro im Monat, wobei es für gute schulische Leistungen Rabatte gibt und Eltern mit geringem Einkommen Härtefallanträge stellen können. 13 Prozent des Schulbetriebs werden aus diesen Elternbeiträgen finanziert, den Rest übernimmt wie bei allen privaten Ersatzschulen der Staat.

 

Für dieses Geld bekommen die Schüler — und Eltern — ein eher ungewöhnliches Bildungsangebot: von Klasse 5 bis 9 eine Stunde »Lernzeit« pro Tag, in denen sie Defizite aufarbeiten können und die Eltern per SMS über die Leistung ihrer Kinder informiert werden, in der Oberstufe freiwilliger Samstagsunterricht. Bald sollen die Eltern Zugang zum Online-Klassenbuch erhalten. Dazu gibt es auffallend viele außerschulische Angebote, die unter dem Begriff Jugendarbeit laufen: Ausflüge, Kunst- und Theaterwettbewerbe. Elternarbeit mit Vorträgen zu Erziehungsfragen, Kursen in Seidenmalerei oder Kalligraphie, organisiert von Lehrern oder Freiwilligen, gehört ebenfalls zum Programm.

 

Auch Hausbesuche bei Eltern gehören in der Bildungseinrichtung zum Alltag. Esen erklärt sie mit kulturellen Unterschieden. »Deutsche Eltern sind erst mal erstaunt, wenn sich ein Lehrer zum Besuch ankündigt. Türkischstämmige Eltern fühlen sich aber geehrt.« Meist gehe es um Erziehungsprobleme, für die man gemeinsam eine Lösung finde. »Das stärkt das Vertrauen zwischen Eltern und Schule«, so Esen.

 

Nun ist es zumindest ungewöhnlich, dass sich ein Geschäftsführer solch pädagogischen Aufgaben widmet. Gerade diese Vermischung von Schule und Privatbereich halten Kritiker für gefährlich. »Wenn dieser enge Kontakt über die schulischen Belange hinaus verwendet wird, besteht zumindest ein Interesse, das zu wissen«, sagt Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Dass Gülen-nahe Schulen neben der säkularen Bildung noch ein anderes Ziel verfolgen, steht für den Theologen außer Frage. Warum, so Eißler, sollte jemand eine Privatschule gründen, wenn sie sich von einer staatlichen nicht unterscheidet? Kritiker sind sich einig:  Die Bewegung verschleiere ihre Ziele bewusst mit säkularen Angeboten, versuche dann aber ideologisch Einfluss zu üben. »Laut den Schriften Gülens leitet Religion die Wissenschaft an. Wissenschaft ist gut, solange sie dem Koran nicht widerspricht.«

 

Die Dialogschulen und anderen Gülen-nahen Bildungseinrichtungen kommunizierten nicht, dass sie islamische Werte in der Gesellschaft stärken wollten, erklären Kritiker. Eißler fordert deshalb mehr inhaltliche Transparenz. »Die Religion kommt im Handgepäck. Die Angebote im Freizeitbereich sind das Vehikel, da wird das Thema Islam offensiv an die Eltern und Schüler herangetragen.« Religiöse Gesprächskreise der Gülen-Anhänger finden oft in so genannten Lichthäusern statt, einer Art frommen Studenten-WG, von denen es laut Esen auch in Köln »eine ganze Reihe« gibt. Esen schwärmt von seiner Zeit im Lichthaus, andere ehemalige Bewohner berichten dagegen von Gehirnwäsche, Strafen für Abtrünnige und sektenähnlichen Strukturen.

 

Wie an allen Gülen-nahen Schulen gibt es auch in Buchheim keinen Religions-, sondern Philosophieunterricht. Wenn die Eltern aber privaten Religionsunterricht für ihre Kinder wünschten, empfehle man gerne andere Einrichtungen in Köln, so der Geschäftsführer. Esen sieht sich als Vertreter eines fortschrittlichen Islam, er verweist auf die Offenheit gegenüber anderen Religionen, und dass das deutsche Grundgesetz bei seiner Arbeit absoluten Vorrang habe. Eißler widerspricht: »Gülen vertritt zwar keinen radikalen, aber auch keinen liberalen Islam.« So werde nicht infrage gestellt, dass der Mann das Züchtigungsrecht über die Frau hat. Auch mache er keine Abstriche von der Scharia.

 

Im Jahr 2014 untersuchte der baden-württembergische Verfassungsschutz deutschlandweit tätige Gülen-nahe Vereine und Institutionen und kam zu dem Schluss, dass der Prediger ein konservatives Islam- und Frauenbild vertrete und sich in seinem Werk Aussagen fänden, die im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stünden und nationalistische Züge aufwiesen. Die Bewegung sei in Deutschland jedoch nicht darauf ausgerichtet, zentrale Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, so das Ergebnis der 60-seitigen Abhandlung.

 

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) wirft der Gülen-Bewegung zudem vor, integrationsfeindlich zu sein. Sie spricht von einer »ethnischen Privatschule«. »Da machen Kinder Abitur, die vielleicht nie in ihrem Leben mit einem deutschen Kind gespielt haben. Das hilft ihnen weder in der deutschen noch in der türkischen Gesellschaft weiter.«

 

In der Tat sind mehr als 90 Prozent der Schüler türkischstämmig, einige wenige stammen auch aus Syrien, Libanon, Bosnien, Kroatien. Nur eine Handvoll Schüler hat keine Zuwanderungsgeschichte. Ihr einst verkündetes Ziel, 50 Prozent Schüler deutscher Herkunft unterrichten zu wollen, hat die Dialog-Schule weit verfehlt.

 

Wolf-Dietrich Bukow hält den Vorwurf der Abschottung dagegen für »ungerecht, fast schon boshaft«. Bukow, der an der Universität zu Köln Kultur- und Erziehungssoziologie gelehrt hat, hatte den Schulträger in der Gründungsphase beraten: »Wir haben damals die inklusive Universitätsschule entworfen, die jetzt auf dem Heliosgelände umgesetzt wird.« Dieses Konzept sei dem sehr konservativ orientierten Träger aber viel zu modern und reformpädagogisch gewesen. »Herausgekommen ist eine traditionelle, technisch orientierte Schule. Für meinen Geschmack viel zu bieder und behäbig. Aber der Vorwurf der Indoktrination ist lächerlich«, sagt Bukow.

 


»Jeden Morgen Atatürk an­spucken«

 

Anfang der 80er Jahre be­suchte Sevgi Vatansever-Erxlebe eine Gülen-Schule in der Türkei. Ein Erfahrungsbericht

 

Wie heute an Gülen-nahen Schulen gelehrt wird, weiß ich nicht. Aber ich kann berichten, was ich im Schuljahr 1982/1983 an einer Gülen-Schule in Istanbul erlebt habe.

 

Meine Eltern kamen in den 70ern als Gastarbeiter nach Deutschland. Sie sind einfache Menschen, für sie war das ein Kulturschock. Die Gülen-Bewegung stand damals am Anfang und ging bewusst auf Gastarbeiter zu. Sie bestärkte meine Eltern in ihrer Angst davor, dass ihre Kinder hier in Sünde aufwachsen. So kam es, dass ich mit zwölf Jahren auf eine Gülen-Schule nach Istanbul geschickt wurde.

 

Die Schule durften wir nur verlassen, wenn uns ein Bevollmächtigter abholte. Wir bekamen lange schwarze Mäntel und ein Kopftuch. Die Schule war ziemlich teuer, weshalb ich fleißig lernte. Gegen 4 Uhr früh mussten wir aufstehen, uns nach dem Morgengebet in einer Reihe aufstellen und eine Atatürk-Statue anspucken. Atatürk hatte die Trennung von Staat und Religion eingeführt und war das größte Feindbild der Bewegung. Nach dieser Morgenzeremonie begann der Unterricht, der hauptsächlich aus Koran-Lehre bestand.

 

Alle drei Wochen holte mich mein Onkel, der in der Nähe wohnte, über das Wochenende ab. Bald merkte er, dass ich mich veränderte. Ich war nicht mehr fröhlich, sondern verschlossen und in mich gekehrt. Manchmal kam ich nicht mehr aus dem Zimmer. Mein Onkel riet meinen Eltern, mich zurück zu holen. »Ihr verliert sonst eure Tochter«, sagte er. Nach einigem Hin und Her durfte ich am Ende des Schuljahres zurück nach Deutschland. Noch heute habe ich ein sehr schwieriges Verhältnis zu meinen Eltern.

 


Sevgi Vatansever-Erxlebe ist 46 Jahre alt. Sie kam als Kind nach Deutschland und musste als Jugendliche in der Türkei eine Gülen-Schule besuchen. Heute lebt und arbeitet sie in Frankfurt.