Fühlt sich falsch verstanden — OB-Mitarbeiter und Buchautor Pascal Siemens | Foto: Dörthe Boxberg

Shitstorm als Großwetterlage

Der Eklat um das Stadt­Revue-Interview eines OB-Mitarbeiters offenbart das tiefe Zerwürfnis zwischen Grünen und SPD

Als Quereinsteiger ist der Weg nach oben oft kurz. Pascal Siemens leitete erfolgreich den Wahlkampf von Oberbügermeisterin Henriette Reker und ist heute Mitarbeiter im von Reker neu eingerichteten Referat für strategische Steuerung. Zusammen mit dem Kommunikations-Coach Jonathan Briefs hat er im Oktober das Buch »Henriette Reker — Mein Beruf ist Köln« über den Wahlkampf von Henriette Reker (parteilos) gegen Jochen Ott (SPD) veröffentlicht.

 

Im Interview mit der Stadt­Revue hatten Briefs und Siemens Vorwürfe gegen Ott erhoben, weil dieser im Wahlkampf die Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen thematisiert hatte. Ott hatte sich für Sportvereine und Schüler eingesetzt, die dort keinen Sport mehr treiben konnten. Dadurch, so Briefs und Siemens, sei Ott »mitverantwortlich für die aufgeheizte Stimmung«, in der es schließlich zum Attentat auf Reker gekommen sei, bei dem auch Siemens schwer verletzt wurde.

 

Jochen Ott schwieg. Für die SPD empörte sich ihr Bundestagsabgeordner Rolf Mützenich: Die Vorwürfe seien »verleumderisch, bößartig und anmaßend«. Jörg Frank, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, sieht darin einen rhetorischen Trick. Mützenich habe die Aussage so gedeutet, als ob Siemens unterstellt hätte, Ott sei mitverantwortlich für das Attentat auf Reker gewesen. »Mützenich hat für seine eigene Interpretation eine Entschuldigung gefordert«, sagt Frank. »Ott hat die Stimmung angeheizt, das sehe ich genauso.«

 

Nach dem Eklat Anfang Oktober hatte sich Siemens über Facebook zu Wort gemeldet: Weder Jochen Ott noch die Kölner SPD trügen Verantwortung für das Attentat. Der Vorwurf, Ott habe die Stimmung aufgeheizt, blieb jedoch bestehen. OB Henriette Reker schwieg tagelang, sie war auf der Immobilienmesse »Expo Real« in München. Erst eine knappe Woche nach Erscheinen des Interviews äußerte sie sich: »Niemand kann vernünftigerweise eine Kausalität zwischen dem Wahlkampf von Herrn Ott beziehungsweise der SPD und dem Attentat vom 17. Oktober 2015 herstellen«, so Reker. Das habe Siemens aber auch nicht getan. »Für uns ist die Sache damit erledigt«, so ein Sprecher der Stadt. Dass Ott im Oktober 2015 »die Not von Flüchtlingen als Wahlkampfinstrument« benutzt und »Ressentiments« geschürt habe — daran hielt auch Reker fest.

 

Für Martin Börschel, den Kölner SPD-Fraktionsvorsitzenden, sind die Äußerungen persönlich motiviert. »Die Oberbürgermeisterin hat einen Mann durch ihre Stellungnahme freigezeichnet, dessen Äußerungen darauf hindeuten, dass er die SPD und ihren Parteivorsitzenden Jochen Ott aus vollem Herzen verabscheut.« Gegenseitige Wertschätzung und eine respektvolle Streitkultur seien aber um so notwendiger, »als politische Populisten diese gezielt durch eine Rhetorik des Postfaktischen unterminieren.« Die SPD warte deshalb weiterhin auf ein »klares Signal« der Oberbürgermeisterin — also auf eine Entschuldigung.

 

Unterdessen hat eine Ombudsstelle des »Runden Tischs für Integration« den Vorwurf, dass Jochen Ott Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht habe, entkräftet. Die Sprecherin Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses, nimmt Ott in Schutz. Sie kennt ihn gut, hatte unter anderem bereits Ende 2013 mit ihm bei der Initiative »Suchet der Stadt Bestes« zusammengearbeitet.  

 

Reker und Ott hatten sich vor dem OB-Wahlkampf darauf geeinigt, die Flüchtlingspolitik nicht zum Thema zu machen. Dies sollte Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen, nutzte aber auch den beiden. Die SPD war auf Landesebene für die Verteilung von Mitteln für die Flüchtlingsunterbringung zuständig und in Köln wuchs die Unzufriedenheit darüber, dass die damalige Sozialdezernentin Reker kein überzeugendes Gesamtkonzept für die Flüchtlingsunterbringung vorlegen konnte.

 

Der jetzige Skandal offenbart daher vor allem das tiefe Zerwürfnis zwischen den einstigen Partnern SPD und Grünen. Die SPD sieht sich gegenüber dem schwarz-grünen Bündnis im Rat in einer ungewohnten Oppositionsrolle, die sie umso überdrehter ausfüllt. Gemeinsame Anträge aller Ratsfraktionen sind selten geworden. Die Rhetorik ist hitzig bis hin zu verbalen Ausfällen.

 

»Der Konflikt um die OB-Wahl ist nicht aufgearbeitet«, sagt Jörg Frank. »Die SPD hat sich auf die Oberbürgermeisterin eingeschossen.« Das Verhältnis zwischen SPD und Grünen war allerdings schon vorher angespannt. Die Grünen fühlten sich oft von OB Jürgen Roters (SPD) düpiert, obwohl sie ihn bei seinem Wahlkampf unterstützt hatten.

 

Pascal Siemens selbst wollte zu den Ereignissen nicht noch einmal Stellung nehmen: »Offensichtlich werden meine Aussagen immer in Verbindung zu meiner jetzigen Arbeit als städtischer Angestellter gesehen, selbst dann, wenn es sich um eine Rückschau auf den Wahlkampf handelt«, erklärte er schriftlich. Sein Schweigen rüttelt am Markenkern der noch jungen Ära Reker: ihrer Unabhängigkeit. Jetzt steht ein Vorwurf im Raum. Anstatt des besten Kandidaten für das Amt des Referenten sei ein Wahlkampfhelfer für seine treuen Dienste belohnt worden.