»Mich ermüden Filme, in denen alles ein Problem darstellt«

Jim Jarmusch über Inspiration, befreiende Routine und seinen Busfahrer-Poeten Paterson

 

Herr Jarmusch, warum haben Sie einen Busfahrer zum poetischen Helden Ihres Filmes gemacht?

 

Die Hauptfigur sollte ein Working-Class-Poet sein. Ich habe überlegt, wie ich Bilder, Information und die Gespräche der Menschen an diesem Poeten vorbeiziehen lassen kann, während er seiner täglichen Arbeit nachgeht. Eine Arbeit an einer Maschine in der Fabrik kam nicht infrage. Taxifahrer wäre eine Möglichkeit gewesen, aber da steigen immer nur ein oder zwei Menschen ein und der Raum ist sehr beengt. Mein Protagonist sollte während seiner Arbeit die Welt in sich aufnehmen.

 

Worin besteht die Poesie des Busfahrens?

 

Hinter dem Steuer eines Busses gleitet man ein wenig erhöht über der Straße. Man kann Menschen beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Das ist eine ganz andere Perspektive als aus einem Auto heraus. Im Bus gehen die Menschen rein und raus. Die Leute draußen ziehen vorbei. Es liegt eine besondere Schönheit in dieser Sicht auf die Welt.

 

»Paterson« ist auch ein Film über das Verhältnis zwischen Kreativität und Routine. Ihr Held scheint seine Kraft gerade aus der Routine seines Alltags zu ziehen.

 

Für ihn ist berufliche Routine ideal. Er muss nicht darüber nachdenken, wo er hingeht, welche Termine er hat oder was er anzieht. Er steht immer zur selben Zeit auf, und auch der Bus fährt immer dieselbe Route. Für ihn ist diese Routine befreiend, weil sie ihm erlaubt, die Welt ohne Ablenkung in sich aufzunehmen.

 

Seine Frau Laura ist extrovertiert. Sind die beiden als Ying-und-Yang-Paar angelegt?

 

Auf jeden Fall. Im Gegensatz zu Paterson hat Laura immer neue Projekte im Kopf: Sie malt, näht Gardinen, lernt Gitarre spielen, backt Cupcakes — sie ist voller Energie. Laura geht aus sich heraus, während Paterson in sich geht.

 

Die Routine des Alltags wird oft als Feind der Liebe angesehen. Hier scheint sie die Beziehung zu festigen...

 

Routine muss nicht zwingend einer erfüllten Liebe entgegenstehen. Die beiden lieben einander, so wie sie sind. Sie ergänzen sich auf eine sehr angenehme Weise und akzeptieren einander über alle Gegensätze hinweg.

 

Laura dekoriert ihr Haus im Verlauf des Filmes fast komplett in Schwarzweiß-Mustern. Sie selbst hatten als Filmemacher eine ausgedehnte Schwarz-Weiß-Phase. Nehmen Sie sich selbst auf den Arm?

 

Nicht bewusst. Ich dachte einfach, es wäre cool, wenn Laura diesen Schwarzweiß-Fimmel hätte. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Wenn man Neugeborenen ein schwarz-weißes Mobile über das Bett hängt, hilft es ihnen, die Sehfähigkeit zu entwickeln. Immer wenn jemand aus meinem Freundeskreis ein Baby bekommt, verschenke ich so ein Mobile und die Kinder lieben es. Dadurch bin ich auf die Idee gekommen, dass Laura das Dekor ihres Hauses auf Schwarz und Weiß reduziert. Aber vielleicht habe ich mich unterbewusst auch über meine Schwarz-Weiß-Phase lustig gemacht, zumal ich die Absicht habe, noch einmal einen Schwarzweiß-Film zu drehen.

 

»Paterson« kommt ohne große Dramatisierungen aus. Ein Bekenntnis zur narrativen Entschleunigung?

 

Mich ermüden Filme, in denen alles ein Problem darstellt. Es ist wichtig, dass auch Filme gemacht werden, in denen es nicht um große Dramen geht, sondern in denen die Poesie des Alltäglichen im Mittelpunkt steht.

 

»Paterson« zeigt auch, wie Inspiration funktioniert, wie ein Eindruck aufgenommen und in Poesie verwandelt wird. Wie lassen Sie sich inspirieren? 

 

Meine Inspirationen kommen von überall her: aus dem Alltag, kleinen Dingen, die mich bewegen, die ich gehört, gelesen oder gesehen habe, aus der Musik, der Form einer Wolke, einer Erinnerung oder einem Traum. Alles, was mich bewegt, versuche ich festzuhalten. Ich habe immer ein Notizbuch bei mir, in dem ich diese Dinge sammle, ohne zu wissen, was ich damit machen werde. Es geht erst einmal darum, zu rezipieren. Die Dinge sagen mir dann später, was ich mit ihnen anstellen soll. Ich vertraue ihnen mehr als mir. Das hat bisher ganz gut funktioniert.

 

Leben wir in einer Zeit, in der uns der Sinn für Poesie abhandengekommen ist?

 

Die Poesie ist immer noch da und steckt in vielen Dingen. Man muss sie nur erkennen. Aber wir leben in einer Zeit der Gehirnwäsche und in einer Welt, die von Konzernen kontrolliert wird. Das wird letztendlich zur Zerstörung unseres Planeten führen, und keiner scheint sich darum zu kümmern. Die Menschen leben in einem Zustand dauernder Verleugnung, wollen nicht wahrhaben, wie heikel unsere Lage ist, und flüchten sich in den Konsum. Das finde ich verstörend. Ich bin sehr enttäuscht von den Menschen. Nicht von allen natürlich. Manche finde ich ganz wunderbar. Ich versuche den Moment zu genießen, aber ich sorge mich sehr um die Zukunft.