Heiße Schwüre in unruhigen Zeiten

Semi-dokumentarisches Künstlermelodram: »Die Geträumten« von Ruth Beckermann

Im Frühjahr 1948 lernen sich die 21-jährige Philosophiestudentin Ingeborg Bachmann und der etwas ältere Dichter Paul Celan in Wien kennen und lieben. Seine Eltern wurden in einem deutschen KZ in der Ukraine ermordet. Ihr Vater war NSDAP-Mitglied und Wehrmachtssoldat. Das berichten einige Schrifttafeln zu Beginn des Films. Dann in Nahaufnahme das Gesicht einer jungen Frau, die mit einem Hauch von Lächeln einem ihr gewidmeten und von einer männlichen Stimme vorgetragenen Gedicht lauscht, bevor sie selbst in ein Rundfunkmikrofon spricht. Die Tonlage ist elegisch, vorgetragen wird ein Liebesbrief Bachmanns an den nach Paris weiter gereisten fernen Geliebten.

 

Dann sieht man auch den Partner. Und die Kamera erweitert den Blick auf ein wunderbar aus der Zeit gefallenes nussbaumgetäfeltes Studio-Interieur, in dem ein älterer Mann mit den zwei Sprechern die Szene einrichtet. Ein schlichter, hier elegant ausgeführter Trick, um eine zweite reflektierende Erzähl­ebene zu etablieren. Doch während sich die Briefbeziehung der ungleichen Liebenden stark verdichtet und intensiv durch die Standardsituationen zwischen heißem Schwur, Vorwürfen und Zerwürfnis bewegt, kommt die Rahmenhandlung um die Schauspieler Anja ­Plaschg und Laurence Rupp nicht recht vom Fleck.

 

Denn statt produktiver Spiegelungen etwa des historischen oder institutionellen Settings gibt es hier nur Zigarettenpausengeplänkel und küchenpsychologische Einfühlungsversuche der Darsteller in ihre Rollen. Stark auf das Innenleben fokussiert und emotionalisierend ist auch die Lesung selbst, so dass Anja Plaschg nach einem starken Satz von Bachmann schon mal mit einer Träne abgeht. Wirklich weiter hilft das nicht. Dagegen bleibt die in den Briefen immer wieder angesprochene Beunruhigung beider durch die politischen Umstände (mit ihren ebenso beunruhigenden Parallelen zu heute) leider inszenatorisch unterbelichtet.

 

Die Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann drehte 1977 ihren ersten (lokalpolitisch engagierten) Film und ist seitdem mit weltweitem Erfolg vor allem dokumentarisch unterwegs. Immer wieder kreisen ihre Filme um österreichische und jüdische Identitäten und das freiwillige oder erzwungene Unterwegssein. In dieses Werk fügt sich »Die Geträumten« mit überzeugender Konsequenz ein. Bei der Diagonale in Graz errang das semi-dokumentarische Künstlermelodram aus einer Zeit, in der Deutsche für Frankreich noch ein Visum brauchten und das häusliche Telefon eine Rarität war, die Auszeichnung als bester österreichischer Spielfilm.

 

Die Geträumten (dto) A 2016, R: Ruth Beckermann, D: Anja Plaschg, Laurence Rupp, 89 Min., Start: 27.10.