»Wir wollen keinen Schauspieler mehr sehen, der so tut als wolle er sterben«

Markus & Markus reanimieren in ihrer Ibsen-Trilogie einen alten Theaterprofi: den Tod

Sie sind penetrant und peinlich, politisch und pennälerhaft, total unperfekt — und machen ein Theater, das extremer nicht sein kann. Das großartige, witzige und durchtriebene Hildesheimer Performance-Kollektiv Markus & Markus alias Markus Schäfer und Markus Wenzel existiert seit 2011. Seit drei Jahren spielen sie ihre Ibsen-Trilogie, die an Tabus geht und nicht einfach zu verdauen ist. Was und wie viel darf man auf der Bühne darstellen, wo liegen die Grenzen der Moral, wo die des Darstellbaren? Zugleich befragen die Performer politische und gesellschaftliche Konventionen — und hebeln so manche Gewissheiten aus.

 

An der Studiobühne Köln sind nun erstmals alle drei Ibsen-Teile hintereinander zu sehen. Der erste, »John Gabriel Borkmann«, beginnt vergleichsweise harmlos. In Henrik Ibsens Stück geht es bekanntlich um einen kapitalistischen Betrüger, der sich nach seiner Freilassung aus dem Knast acht Jahre lang im Dachboden seines Anwesens einschließt und dabei vor die Hunde geht. Markus & Markus haben das zum Anlass genommen, Verwahrlosungsformen von heute auf den Grund zu gehen. Dabei haben sie einen real existierenden Messie begleitet, ein ehemaliger Anlageberater, dem sie nun in einer Art Reality-Show mit Bildern und Videos dabei helfen, seine Wohnung zu entmüllen und auch sonst wieder auf Kurs zu kommen. Ein lustiger Abend, der allerdings auch nervt — die beiden scheuen sich nicht, mit eigenen Körperflüssigkeiten zu hantieren.

 

Für »Gespenster«, den zweiten Teil, haben sie aber etwas Ungeheuerliches getan. In diesem Ibsen-Drama bittet Osvald seine Mutter, ihm Sterbehilfe zu leisten, während sie noch zweifelt. »Wir wollen keinen Schauspieler mehr sehen, der so tut, als wolle er sterben. Wir werden unseren Oswald wirklich mit einer Person besetzen, die mit einer Sterbehilfe-Organisation den eigenen Tod plant«, gaben Markus und Markus auf ihrer Webseite zu Protokoll — und fanden eine Frau, die bereit war, sich von ihnen in ihren echten Freitod begleiten zu lassen. Und dies ausgiebig und bis zur Sekunde des Todes auf Video dokumentieren zu lassen. So weit, so gut. Aber darf man das? Ist das überhaupt erlaubt? So wie Markus und Markus es tun, so viel sei vorab verraten, ist es faszinierend — weil sie permanent ihre eigenen Zweifel mit inszenieren. Zunächst aber karikieren sie auf der Bühne schrill und albern in Karnevalskostümen alle möglichen Tode der Theaterliteratur und dokumentieren ihre Suche nach einer Protagonistin genauso wie die eigenen Skrupel, gekrönt mit dem zuckenden und geruchsstarken Echt-Übergeben des einen Markus.

 

Danach wird der Abend immer mehr zu einer Hommage an die Gestorbene: ihre Asche wird herumgereicht, ihre Fotoalben, ihr Inventar, ihre Lieblingsblumen und Oster-Deko dürfen von den Zuschauern betrachtet werden. Die tote Margot hat die Bühne mit Vorab-Anweisungen aktiv mitgestaltet. Unter anderem ist das ein von Kindern mit lila Blümchen dekorierte Riesenwort »Friedensplakat«, was durch seine unironische Zurschaustellung fast wieder einen seltsam despektierlichen Beiklang erhält. Den nahenden selbstgewählten Tod zählen die Performer an einem Abreißkalender ab — was zynisch sein könnte, würde nicht Margot offenbar selbst auf den Moment hinfiebern. Je näher ihr Tod im Video rückt, desto mehr Gewicht erhalten die Einspielungen. Auch der Moment, an dem alles ins Rutschen gerät, ist festgehalten: Die über 80jährige Margot, die mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben gehen will, spricht an ihrem Wohnzimmertisch auf einmal davon, dass sie durch die Besuche der Performer so viel Lebensfreude gewinnt und vielleicht lieber nicht sterben will. Doch die Pseudo-Nähe durch Kunstanstrengung ist zugleich die Geschäftsgrundlage des Deals. Eine unangenehme Erkenntnis, die auf einmal wie ein Schock wirkt. Hat Margot ihren Tod verkauft? Haben Markus und Markus, jene Enkel, die die einsame Margot nie hatte, ihn für die eigene Berühmtheit erkauft? Hätte die alte, kranke Dame mit realen Enkeln diesen Schritt überhaupt gewagt? Ist die Sensation des Todesmoments, auf die alles hinausläuft, pornografisch?

 

Zumindest letzteres muss verneint werden. Der Abend verstört zutiefst. Theaterwille hin oder her, man hat Margot am Ende liebgewonnen, als hätte man sie selbst gekannt. Und man glaubt den Performern, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. »Ibsen: Gespenster« ist letztlich eine Hommage an den Menschen, an letzte Dinge, die bleiben und somit auch eine Feier der heilenden Kräfte von Kunst. Die schwerkranke Margot hatte in den letzten Wochen vor ihrem Tod deutlich sichtbar eine gute Zeit. Ihr wird auf der Bühne ein würdiges Denkmal gesetzt. Als sie stirbt, halten die Performer sie an den Händen. Und so ist die tröstliche Erkenntnis, selbst wenn man am postmodernem Selbsterfindungszwang verzweifelt: Wenn man am Ende niemanden mehr hat, dann bleibt noch das Theater.

 

Gegen diese äußerste Steigerung des Dokumentarischen kann der dritte Teil, »Peer Gynt«, jener Sucher nach dem eigenen Ich, eigentlich nur ein Rückschritt sein. Doch auch hier gelingt ihnen erneut, mit dementen Darstellern, tiefe Fragen von Identität, Wahrheit und Bewusstsein zu stellen — und niemanden lächerlich zu machen. Das muss man erst einmal schaffen.

 

A: Henrik Ibsen, R: Markus & Markus, John Gabriel Bormann, 17.11. (20 Uhr); Gespenster, 19.11. (20 Uhr); Peer Gynt, 21.11. (20 Uhr), Studiobühne Köln