Foto: Manfred Wegener

Köln für Einsteiger IV

Mit dem Bus ans Ende der Stadt

 

Das Knirschen des Faltenbalgs

 

Mit der Linie 152 durchs Rechtsrheinische: Tristesse, Katastrophen und Chinarestaurants in Autohäusern

 

Schön war das nie, aber mal neu. 2003 war das, als an der zentralen Bus- und Bahnstation in Porz das riesige Parkhaus teils abgerissen, teils in ein »City Center« umgewandelt und der Bus- und Stadtbahnhof neu gestaltet wurden. Hier, an Porz Markt, hält die Stadtbahn-Linie 7, die den Porzer Süden mit der Innenstadt verbindet. Hier starten zehn Buslinien, doch die Hälfte fährt nur auf Bestellung oder kurvt spät abends einmal um den Block. Mehr als vierzig Jahre nach der Eingemeindung ist die ehemalige Stadt Porz immer noch nicht gut an den ÖPNV angeschlossen.

 

Wirken die Menschen auf den drei Bus- und Bahnsteigen deshalb so übel gelaunt? Raucht man deshalb hier so mürrisch? Allein Schulkinder mit Handys und Chips­tüten beleben die Tristesse an diesem Porzer Mittag. Aber da kommt der Rettungswagen! Ein 18 Meter langer Gelenkbus biegt schnaubend von der Warteposition zum Bussteig. Man glaubt, das Knirschen des Faltenbalgs zu hören, der den vorderen mit dem hinteren Teil des Dreitürers verbindet.

 

Wie ein großes müdes Tier verlässt der Bus das Terminal, windet sich mühsam durch Kreisverkehre, unterquert die Eisenbahnstrecke der S12 und nimmt dahinter erste Fahrgäste am Porzer S-Bahnhof auf. Schulschwänzer winken mit Stinkefingern, als die Türen schmatzend schließen. Wir gondeln über die Kaiserstraße, wo Wilhelm II. einst entlang fuhr, um die Truppen in Wahn zu besuchen. Vor dem Fenster rauscht die Trostlosigkeit von Urbach vorbei. Altbauten, deren Fassaden in morastigen Farben gestrichen oder mit Backsteinimitat verblendet sind. Autohäuser, Discounter mit Parkplätzen so groß wie Paradeplätze in Militärdiktaturen. Und immer wieder Ladenlokale, in denen man sich thailändisch massieren oder die Fingernägel in der Art der Amerikanerinnen feilen und färben lässt. Vor der Feuerwache Porz schleicht ein Kiosk vorbei, das »Auf Schalke« heißt. Vorher firmierte es mit glei­cher Gesinnung als »Pommes blau-weiß«. Wenn sich in Porz etwas wandelt, dann von einer Abstrusität zur nächsten.

 

Im alten Urbacher Dorfkern schlägt der Fahrer den Weg nach Norden über die Frankfurter Straße ein, sie führt in kilometerlanger, unmerklicher Biegung nach Mülheim. Rechterhand passieren wir das zur Wohnanlage umgebaute Gut Maarhof aus dem 18. Jahrhundert, ein Relikt aus jenen Tagen, als Porz noch landwirtschaftlich geprägt war, bis um 1880 ein paar Kilometer weiter südlich am Rhein die ersten Fabriken und Hüttenwerke errichtet wurden. Der Abzweig zum Flughafen in Porz-Wahn nennt sich »Kennedystraße«. Ja, nicht nur der Kaiser, sondern auch der amerikanische Präsident war in Porz, zumindest am Flughafen. 1963 war das, ein halbes Jahr vor seiner Ermordung in Dallas. Wir halten an der ersten Hochhaussiedlung der Route. Der Falkenhorst ist ein Pionier des Porzer Hochhausbooms der 60er Jahre. Wenige hundert Meter darüber schwenken die ­Billigflieger auf den Flughafen ein. Der Fluglärm führte in Porz seit den 50er Jahren zu Streit, doch die Proteste sind längst erlahmt. Widerstand zwecklos, dieses Gefühl kennen viele Porzer.

 

Auch Eil ist ein Dorf, das städtisch werden sollte, aber nie mehr schaffte als Pizza-Lieferdienste, Ladenlokale kurz vor dem Leerstand und Kneipen, die auf junge Menschen wie eine Trutzburg wirken. In einem Baumarkt hat die Stadt Flüchtlinge untergebracht, mitten im Gewerbegebiet und gegenüber dem Autokino — auch so ein Rest vergangener Zukunft, der heute wie ein nie eingelöstes Versprechen emporragt. Wir biegen nach links, gen Westen, das Entrée zum sozialen Brennpunkt Porz-Finkenberg, Anfang der 70er Jahre als Demonstrativbauvorhaben (»Demo-Gebiet«) hingeklotzt. Schulzentrum, Kirchen, der Discounter als Treffpunkt. Und ein China-Restaurant im zweiten Stock eines Autohauses, wirklich wahr. Lärmend ergießt sich ein Schwall Schüler in den Bus, Rollatoren und Kinderwagen werden justiert, Metall auf Metall, kreischende Säuglinge, ein Alkoholiker an Krücken stimmt »Rot sind die Rosen« an. Irgendeiner steht in der Lichtschranke und merkt’s nicht. Die 152 zählt KVB-intern zu den »Stress-Linien«.

 

Hinter den Hochhäusern plötzlich Schrebergärten und eine Wiese. Gremberghoven ist eine Eisenbahner-Siedlung der 20er Jahre. Hier gibt es auch einen der bundesweit wichtigsten Rangierbahnhöfe, größer als 150 Fußballfelder. Für die Eisenbahner wurde vor knapp hundert Jahren eine Gartenstadt errichtet, hutzelige Häuschen mit bloß zwei Stockwerken stehen entlang der Gassen, Fenster mit hölzernen Läden, auf den Wiesen Wäscheleinen. Wir überqueren die A 559 und sind im »Airport Businesspark«. Auch das ist Gremberghoven: ein Gewerbepark, dominiert von dem 65 Meter hohen »ABC-Tower«, der von Ödnis und Landschaftsverschandelung abzulenken soll. Im Mai prallte ein Bus der Linie 152 hier gegen einen Hochspannungsmast, weil der Fahrer einen Ohnmachtsanfall erlitt. Wir biegen wieder auf die Frankfurter Straße, an der Unterführung kann man in die Regionalbahn und die S-Bahn 13 steigen, die von der Stammstrecke zum Flughafen führt. Immer wieder billige Hotel-Filialen, Fastfood-Ketten, Autowerkstätten.

 

Hinter der Brücke über die A4 kommt der Stau. Den gibt es hier alle paar Tage. Heute ist ein Tanklaster von Shell auf der A4 verunglückt, gleich hinter dem Autobahn-Kreuz Gremberghoven. Am Morgen drohte eine Explosion, noch immer ist die Autobahn gesperrt. Was also bleibt von Gremberghoven? Tristesse und Katastrophen.

 

Auf der Frankfurter Straße geht fast nichts mehr. Mühsam nähern wir uns Ostheim. »Immer die gleiche Scheiße hier«, lallt jemand laut und schon länger alkoholisiert. Der Satz detoniert mit der Urgewalt einer metaphysischen Frage: Wo ist die Scheiße immer gleich, wo ist »hier«? An der Frankfurter Straße? In Porz? Auf der gesamten Schäl Sick, die wir hier in einer klobigen Karosse durchkriechen? Die Humboldt-Siedlung schleicht vorbei. Die Baracken, im Weltkrieg von KHD für Zwangsarbeiter gebaut, sind heute eine kuriose, bewohnte Schrebergartenanlage. Die Stadt wollte das weghaben, doch die Mieter wehrten sich. Und dann endlich Ostheim. Nach unserem Start an der Linie 7 in Porz begegnen wir zum zweiten Mal einer Stadtbahnlinie, die sich ins Rechtsrheinische erstreckt. Ein Großteil der Passagiere steigt aus, um mit der Stadtbahnlinie 9 ins Zentrum oder aber weiter raus bis nach Rath-Heumar oder zum Königsforst zu gelangen.

 

Unsere Fahrt führt weiter auf der Frankfurter Straße, vorbei am sozialen Brennpunkt Gernshemer Straße, dann kreuzt ein drittes Mal eine Stadtbahnlinie, die wie ein Strich ins Rechtsrheinische gezogen ist: An der Haltestelle ­Höhenberg / Frankfurter Straße kann man hinuntersteigen in die Linie 1, die Menschen aus Merheim und Brück, aus Refrath und Bensberg in die Metropole transportiert. Dahinter ist der Sportpark Höhenberg, wo Viktoria Köln vor kurzem im DFB-Pokal fast die Sensation gegen Nürnberg gelang. Fast. Vieles auf der Schäl Sick ist fast gelungen, und das ist oft das größtmögliche Scheitern.

 

Weiter Baumärkte, Baumarkt-Brachen, Fastfood-Ketten, Autohäuser. Dann schwenken wir auf Mülheim ein, unser Bus füllt sich am Mülheimer Bahnhof. Schüler, Alkoholiker, Hausfrauen beim Einkauf. Zwei ältere Damen nehmen nebeneinander Platz, ihre Blicke gehen starr geradeaus. »Wo biste hin?« — »Ärzte.« — »Haste nur Ärzte in Köln?« — »Nee, auch zwei in Rösrath.«

 

Am Wiener Platz wird unserem Fahrer alles abverlangt, Kinder kreischen, Rollstuhlfahrer benötigen Hilfe, und einige Male stehen Teenager in den Lichtschranken der Türen — manch einer aus Doofheit, mancher mutwillig. Ein Unfall an der Keupstraße bringt uns anonyme Fahrgastmasse zum Quasseln. Mutmaßungen über den Unfall münden rasch in Verzweiflung über das gesamte Rechtsrheinische. War die Stimmung in Porz niedergeschlagen, ist sie in Mülheim aufgekratzt. Haben Stadtteile Mentalitäten?

 

Der Bus zuckelt über die Berliner Straße, vorbei an Geschäften, dem Markt am Kulturbunker, dann im wilden Galopp über den Höhenhauser Ring, zwischen wildromantischen Brachen und der Bahntrasse. Halt an der Bruder-Klaus-Siedlung. Der katholische Pfarrer Karl Müller gründete sie gegen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg, Kardinal Josef Frings soll den Grundstein gelegt haben.

 

Der Tag, die Fahrt werden ruhiger. Unser Bus hat sich geleert, von den vielen Fahrgästen ist nur die schlechte Luft geblieben. Zwei Frauen ärgern sich über Senioren, die sich über die vielen Schüler am Mittag ärgern. »Als Rentner hat man doch Zeit, da muss man ja nicht mittags einkaufen fahren.« Der S-Bahnhof Stammheim ist die vierzigste von 50 Stationen, die meisten wollen jetzt zur S 6. Über die Düsseldorfer Straße kommen wir nach Stammheim. An der Station Egonstraße könnten wir rüber zum Schlosspark, einem englischen Landschaftsgarten mit Kunst. Doch im Bus sehen wir nur das angrenzende Großklärwerk.

 

Weiter nach Norden, über Felder, entlang kleinbürgerlicher Siedlungen, dann sind wir in Flittard. Ein Dorf am Industriegebiet. Bürgerverein, Karnevalsverein, Supermarkt, Bäcker mit Kaffee aus der Pumpe, und »Mügi’s Dorf Im-Biss« mit »Pizza, Döner, Pasta«. Links geht es in die Flittarder Aue, vom Rheinufer sähe man die Fordwerke in Niehl.

 

Unser Bus aber biegt rechts ab, zurück zur Düsseldorfer Straße, die erbarmungslos und stracks Richtung Chempark führt. Rechts Industrieanlagen, links endlose Parkplätze. Ein letzter Schwenk nach rechts, und vor der S-Bahn-Station Chempark endet unsere Fahrt abrupt. 75 Minuten, 50 Stationen. Fünf Menschen steigen hier am späten Mittag aus. Sie sehen so müde und mürrisch aus, wie die ersten Fahrgäste bei unserem Start in »Porz Markt«.