Zurück ins Mittelalter

Marketa Lazarová (1967) nahm Kubrick, Tarkowski und Monty Python vorweg

Der Kanon der Filmgeschichte liegt gerne mal daneben. Weil die Zeitumstände den Blick verstellten, weil Denkfaulheit und Feigheit vor der künstlerischen Herausforderung herrschte oder ein Wille dazu, bloß nichts falsch zu machen.

 

Ein Beispiel von nicht zu Meilen­steinen gewordenen Meisterwerken ist František Vláčils »Marketa Lazarová« (1967). Seinerzeit interessierte sich außerhalb der Tschechoslowakei kaum jemand für den Film. Im Westen kicherte man lieber über das, was man bei Miloš Forman oder Jiří Menzel für subversiven Humor hielt. Daheim machte »Marketa Lazarová« vor allem als Produk­tionsexzess von sich reden. Wenn man die Adaption des gleichnamigen Romans von Vladislav Vančura heute zum ersten Mal sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass er damals die Zuschau­er nicht sofort ansprang als etwas, was es so noch nie gegeben hatte.

 

»Marketa Lazarová« ist ein ­frenetisch experimentierwütiger, zu Zeiten surrealistisch schockierender Historienfilm, der quasi alles, was mittlerweile in diesem Genre als ikonoklastisch, stilbildend und modern gilt, vorwegnahm: von Andrei Tarkowskis »Andrej Rubljow« (1969/71) über Stanley Kubricks »Barry Lyndon« (1975) und Éric Rohmers »Perceval le Gallois« (1978) bis hin zu (ja!) Terry Gilliams und Terry Jones’ »Ritter der Kokosnuss« (1975).

 

All das steckt souverän widersprüchlich bereits in diesem einen Werk — alles.
Das passt zu einer Geschichte, die in einem Mittelalter spielt, in dem das Christentum sich noch nicht ganz etabliert hat und heid­nische Kulte, Bräuche, Rituale noch Teil des allgemeinen Seelenlebens, Weltverständnisses sind. Die drei zentralen Gruppen der Erzählung sind: der grausame Wegelagererklan der Kozlíks, die Familie des Kaufmanns Lazar sowie die könig­lichen Streitkräfte. Letztere brechen auf Verlangen eines von den Kozlíks ausgeraubten deutschen Händlers zu einer Strafexpedition gegen diese Wilden auf. Die Titel­figur ist die Tochter Lazars, die sich in einen Sohn des alten Kozlík ­verliebt. Überraschend ist das Ende dieser in alle Richtungen wild wu­chernden, mehr einer essayis­tischen denn einer klassisch-bürgerlichen Romanform folgenden Szenenfolge.

 

Weniger überraschend ist, dass »Marketa Lazarová« von der Kölner Firma Bildstörung frisch restauriert (digital) wieder in die Kinos gebracht wird — haben wir ihnen doch schon ein ähnlich brachiales Stück Kinopoesie zu verdanken: Alexei Germans »Es ist schwer, ein Gott zu sein« (2013).