Fremd im eigenen Haus

Unheimlich — Innenräume erkundet den Zerfall von Ich und Welt

Mit Blick auf das Europa der vorletzten Jahrhundertwende hat sich mittlerweile der Eindruck eines »taumelnden Kontinents« verfestigt. Hierbei dient sicherlich die ei­gene Befindlichkeit im Hier und Heute als Folie. Mit seiner Ausstellung »Unheimlich — Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann« schließt sich das Kunstmuseum Bonn dieser Lesart an, zielt jedoch nicht auf ein großes Zeit­panorama, sondern fokussiert ein gebrochenes und krisenhaftes
Verhältnis des Ichs zu seiner Behausung.

 

Das sich entfaltende Kammerspiel der gut hundert Gemälde, Zeichnungen und Grafiken untereinander überzeugt durch subtile Eindringlichkeit. Weit davon entfernt, nur die chronologische Aneinanderreihung eines nebensächlichen Bildergenres über die Jahrzehnte, vom Ausklang des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, zu bieten, verhandelt die konzentrierte Schau existentielle Auseinandersetzungen und Seelenlagen, die damals wie heute berühren.

 


Die Spanne reicht von den postimpressionistischen Bildern der Künstlergruppe Nabis mit flirrend farbigen Werken von Éduard Vuillard und Pierre Bonnard über eine schöne grafische Schwarz-weiß-Serie von Félix Vallotton bis zu dem grell-düsteren Symbolismus eines Max Klinger, Odilon Redon und James Ensor. Zu entdecken sind die selten gezeigten Pastelle und Aquarelle des Belgiers Léon Spillaert oder die nüchtern sachlichen, damit aber umso rätselhafteren kargen Innenräume des Dänen Vilhelm Hammershøi. Auch Edvard Munch gehört zu dieser von Resignation und Depression gezeichneten Generation. Sie schaffen eine Kunst voller psychotischer Intensität, bei der nicht die Frage, was diese Bilder darstellen, im Vordergrund steht, sondern weit eher: Was für Gefühle lösen sie aus?

 

Über Max Beckmann bis in die Neue Sachlichkeit der 30er Jahre zieht sich ein Bildfindungsprozess, der von Nervosität geprägt scheint angesichts der Dynamisierung von Lebenswelten. Zum Ausdruck kommt ein tragisches Zerfallensein mit der Welt, ein Zustand hüllenloser Verlassenheit des Einzelnen. Das äußere Geschehen wird in ein inneres umgedeutet. Das Interieur bietet weniger Schutz als zusätzliche — eben unheimliche — Bedrängnis. Wer will, mag hierin eine Mahnung erkennen, dass in bewegt diffusen Zeiten ein Rückzug ins traute Heim nur selten Abhilfe schafft.