Bald schon wieder Geschichte? Leichtbauhallen für Flüchtlinge in Ostheim | Foto: Dörthe Boxberg

Das Ende Der Halle?

Der Flüchtlingsrat Köln trifft die Flüchtlings­koordinatoren der Stadt zum Streit­gespräch

Seit eineinhalb Jahren nutzt die Stadt Turnhallen zur Unter­bringung von Geflüch­teten. Zuletzt ist die Zahl der Neuankömmlinge stark gesunken. Wie geht die Stadt nun vor?

 

Hans-Jürgen Oster: Ende 2015 hatten wir so hohe Zuweisungszahlen, dass wir auf Notmaßnahmen zurückgreifen mussten. Bis einschließlich April wurden neue Turnhallen belegt, am Ende waren es insgesamt 27. Das ist für den Sport ein großes Problem, aber auch für die Geflüchteten und die Betreuer. Jetzt haben wir schon fünf zurückgegeben, bis Ende des Jahres wollen wir fünf weitere räumen.

 

 

Warum werden besonders Schutzbedürf­ti­ge — alleinreisende und schwangere Frau­en, Kinder, alte oder kranke Menschen — nicht zuerst aus den Hallen geholt?

 

Oster: Das ist so praktisch leider nicht umsetzbar.

 

Claus-Ulrich Prölß: Es ist völlig unzumutbar, dass Frauen ihr Kind in der Halle ­stillen müssen. Für die muss gelten: Sofort raus aus der Halle. Und einen ­solchen Mechanismus gibt es nicht.

 

Oster: Vielleicht passiert es zu langsam oder nicht genug, weil genügend alternative neue Unterbringungen fehlen. Da müssen wir Prioritäten setzen. Sport und Schule haben bei einem Ranking mitgewirkt: Welche Hallen sind am wichtigsten? Wir räumen die Halle zuerst, die die größte gesellschaftliche Bedeutung hat.

 

Prölß: Es gab immer neue Einrichtungen, bei denen hätte man sagen können: Die ist für Frauen reserviert.

 

Martin Dommer: Wir haben Standorte, die nur für alleinstehende oder besonders schutzbedürftige Frauen sind. Unbestritten bleibt, dass der Bedarf groß ist. Man muss auch sagen, dass aus städtischer Sicht Hallen mit allein­reisenden Männern problematischer sind.

 

Prölß: Alleinreisende Männer sind nicht besonders schutzbedürftig im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie.

 

 

Aber könnte man nicht auch durch Kleinigkeiten die Situation verbessern? Wir haben mit stillenden Frauen gesprochen, denen gesünderes Essen verweigert wurde. 

 

Oster: Das kann ich mir nicht vorstellen, aber es gibt logisti­sche Grenzen. Wir haben eine Gemeinschaftsverpflegung in oft unzureichenden Räumen, deshalb funktioniert es wie im Hotel. Eigentlich müssten die Menschen die Möglichkeit haben, sich selbst verpflegen zu können.

 

Prölß: Da muss ich widersprechen: Es gibt tatsächlich vieles, das man verbessern kann. Die Betreiber der Hallen sind zu­ständig für das Essen. Auch wenn man nicht selber kochen kann, sollte das Essen Qualität haben. Zuletzt war ich in einer Turnhalle. Da gab es einen Topf Kartoffeln, einen mit Fleisch und einen mit Möhren-Erbsen. Körperlich, aber auch psychisch würde ich das nicht aushalten. Und das sind Dinge, die man durchaus ändern könnte.

 

 

Wie werden die freien Träger kontrolliert? Gerüchten zufolge sind Menschen als Sozialarbeiter tätig, die keine Qualifikation vorweisen können.

 

 

Oster: Das halte ich für ausgeschlossen. Die Sozialarbeiter, die wir einstellen, haben ganz klar die erforderlichen Qualifikationen. Die Stadt hat Verträge mit den Trägern, wo die Qualifikationen des Personals festgelegt sind. Und wir haben seriöse Träger.

 

Prölß: Ich weiß, dass bei Betreibern Leute im sozialen Dienst arbeiten, die aber nicht Soziale Arbeit studiert haben.

 

Oster: Wenn Sie so einen Hinweis haben, dann geben Sie ihn uns. Dann überprüfen wir den Vorwurf. Genauso wie damals bei dem Wachpersonal.

 

 

Was wurde dabei festgestellt?

 

Dommer: In einigen Hallen wurden durch unseren Sicherheitsdienstleister unzulässigerweise Subunternehmen eingesetzt bei den Brandschutzhelfern. Das Unternehmen ist abgemahnt worden. Mehr als Stichproben können wir nicht machen. Ich mag nicht ausschließen, dass so etwas in Einzelfällen auch beim sozialen Dienst vorkommt.

 

 

Letztes Jahr gab es eine enthusiastische Willkommens­kultur. Wie ist das jetzt?

 

Oster: Nach Monaten der Unterstützung bröckelt die Hilfe ab. Dennoch ist das Engagement nach meinem Empfinden enorm. Mir ist bei einigen Initiativen aufgefallen, dass sie nach der Silvesternacht anders weiter gemacht haben. Wir werden noch eine neue Schwierigkeit bekommen: Mit der zu­neh­menden Nicht-Anerkennung von Geflüchteten aus den sicheren Herkunftsländern werden Ehrenamtliche eine Verbindung zu Menschen aufbauen, die ausreisepflichtig werden. Dann werden die Ehrenamtler die Stadt möglicherweise als Behörde erleben, die die Ausreise durchsetzen muss.

 

Prölß: Mitte des Jahres lebten ca. 4500 Menschen mit Duldung in Köln, davon ist mehr als ein Drittel seit fünf Jahren geduldet, die meisten sogar seit 15 Jahren. Viele davon sind Roma aus den Westbalkan-Staaten, für die jetzt Ausreisedruck besteht. Wir hatten in Köln eine lange Tradition, zu sehen, wie man nach Recht und Gesetz vorgeht, um wohlwollend zu entscheiden. Im Moment fehlt da aber der Anschub von Politik und Verwaltung.

 

 

Welchen Spielraum haben Kommunen überhaupt?

 

Prölß: Es gilt das Aufenthaltsgesetz, da gibt es die verschie­densten Normen, die zum Teil auch hohe Hürden haben. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, etwa wenn es um Kinder geht, die hier schon lange zur Schule gehen, oder die Härtefallkommission. Und es gibt die Instrumente, die in der Vergangenheit in Köln viel stärker angewandt wurden, wie etwa Integrationsvereinbarungen. Politisch weht derzeit ein anderer Wind: NRW-Innenminister Jäger geht es darum, hohe Abschiebezahlen zu präsentieren.

 

Dommer: Aber sie werden kein Willkommensklima auf Dauer halten können, wenn die Leute den Eindruck bekommen, dass Menschen hierbleiben können, die nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Der Eindruck, dass der Staat an der Stelle handlungsunfähig sei, sollte nicht entstehen. Und das hat sich nach Silvester verschärft. 

 

Prölß: Das ist der große Fehler, der von der Politik gemacht wird. Zu glauben, dass man das, was AfD und andere vor sich hinsagen, übernehmen muss, um Leute zu befrie­digen und dann auch gewählt zu werden.

 


An den weiterführenden Schulen gab es vor ein paar ­Monaten mehr als 150 Kinder, die ein halbes Jahr oder länger auf den Schul­start warteten. Hat sich die Lage ein wenig entspannt?

 

Oster: Es gibt immer noch sehr viele Kinder, die nicht direkt beschult werden können. Die Stadt überlegt, wie sie mit Ad-hoc-Maßnahmen Schulraum erweitern kann. Aber eigentlich wird alles, was in Köln nutzbar ist, auch genutzt. Schulbau nimmt mehrere Jahre Vorlauf in Anspruch und wir haben das gleiche Problem wie bei den Unterkünften: Fläche. Köln ist dicht.

 

Prölß: Diese Kinder verlieren ein ganzes Schuljahr oder vielleicht noch mehr Zeit. In der Bildung wird soviel verspielt, ohne die Schuld jetzt bei der Kommune zu suchen. Das ist kein Thema, das überzeugend vom Land angegangen wird.

 

Oster: Zu dem »Wir schaffen das« der Kanzlerin gehört auch, dass man eine Infrastruktur schafft. Aber auch ­bildungspolitisch muss eine andere Aufstellung kommen. Stellen Sie sich vor, jemand kommt mit 16 aus Syrien, ein halbes Jahr später geht er in eine Vorbereitungsklasse und mit 18 endet die Schulpflicht. Da ist selbst Bayern weiter.

 

 

In NRW wurde dagegen vor ein paar Jahren der Zugang zum Berufskolleg von 21 auf 18 Jahre reduziert.

 

Oster: Seitdem ist es für diese Gruppe nochmal schwerer geworden. Wir haben in Köln die TAS, die Tages und Abendschule, um nachträglich Schulabschlüsse zu er­mög­lichen. Die können jetzt die jungen Flüchtlinge oft nicht mehr aufnehmen, weil sie eine entsprechende Vorzeit und Erfahrung aufweisen müssen. Wo soll die denn herkommen?

 

Prölß: Es ist vollkommen unklar, was mit diesen Jugend­li­chen, die dann 18 werden, passiert. Etwa in der Frage Zu­­gang zum Arbeitsmarkt« hat die Stadt viele Projekte. Das ist gut, aber was fehlt, ist eine Zusammenführung dieser Projekte. Wir schlittern sehenden Auges in eine Situation rein, wo wir heute sagen müssen: Hartz IV forever.

 

 

Noch Anfang des Jahres verkündete die Stadt, dass sie auf Leichtbauhallen setzt. Eine Unterbringung, die auch nicht viel besser ist als eine Turnhalle. Nun scheint es einen Richtungswechsel zu geben. Wie kommt das?

 

Oster: Das hatte auch damit zu tun, dass es letztes Jahr nahezu unmöglich war, Container zu bekommen. Damals war die Entscheidung: Wir setzen auf die Leichtbauhallen, um aus den Turnhallen rauszukommen. Wir haben jetzt zwei solcher Hallen, zwei weitere realisieren wir noch, ansonsten empfehlen wir, wieder auf Container umzu­satteln, weil die Leute sich dort selber versorgen können. Außerdem können sie die Türen hinter sich zumachen.
In den Leichtbauhallen gibt es ja nur diese Kojen mit Trennwänden ohne abschließbare Tür.

 

 

Aber die erste Leichtbauhalle, die in Köln letztes Jahr errichtet wurde, hat nicht mal Kojen. Warum?

 

Dommer: Damals waren sie nicht Bestandteil der Ausschrei­bung. Die werden jetzt in Ostheim nachträglich installiert.

 

Oster: Das war eine Frage von Angebot und Nachfrage. Damals bestimmte der Anbieter, was es gibt. Heute hat sich der Markt beruhigt.

 

Prölß: Es ist gut, dass Sie da sind, Herr Oster. Es liegt auch an ihrer Arbeit, dass wir jetzt wieder von den Leichtbauhallen wegkommen.

 

Oster: Wir müssen ja auch Wirkung zeigen. Wenn wir in zwei Jahren nichts nachgewiesen haben, können wir ­wieder gehen.