Nächstes Jahr, gleicher Ort

Weites Land, einsame Reiter, Freiheitsträume und maskuline Kameradschaft: Die Ikonographie des Westerns hat immer schon Unterschlupf für homosexuelle Sehnsüchte geboten, auch wenn die letzte Grenze – die offen dargestellte Liebe zwischen Männern – nicht überschritten wurde. Ist Ang Lees »Brokeback Mountain«, der erste schwule Western aus der bürgerlichen Werteschmiede Hollywood, deswegen ein Politikum? Nachdem das Drehbuch unter den Studios herumgereicht worden war, fanden sich selbst in god’s own country nur Wenige, die an der Geschichte um überdauernde Liebe, eine strafende soziale Ordnung und ein Leben in Entsagung Anstoß nahmen.
Sein Coming-Out erlebt »Brokeback Mountain« schon in den ersten Szenen: Zwei Cowboys warten vor einem schäbigen Wohnwagen auf Arbeit, und wie sie unter tief ins Gesicht gezogenen Hüten schweigend den Blicken ihres Gegenüber ausweichen, sagt mehr als tausend Worte. Gemeinsam werden Ennis Del Mar (Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhaal) zum Schafehüten auf den Brokeback Mountain geschickt, eine undankbare und fröstelnde Angelegenheit, bis in einer eisigen Nacht zwei betrunkene Männer in heftiger Umklammerung zusammenfinden. Man weiß nicht recht, ob die beiden miteinander kämpfen oder miteinander schlafen, und am nächsten Morgen sind sie sich darüber einig, dass nichts geschehen ist. Die uneingestandene Liebe führt nach Ende der Saison zu einem verdrucksten Abschied und zur Rückkehr in die Normalität. Ennis heiratet seine Jugendliebe (Michelle Williams), Jack trifft beim Rodeo ein Cowgirl (Anne Hathaway) aus reichem Haus. Beide Männer gründen Familien, leben ihr Leben – und kommen doch nicht über den Anderen hinweg.

Amerkanische Mythologie im Hollywood-Mainstream

Für Ang Lee ist »Brokeback Mountain« nach seiner taiwanesisch-amerikanischen Komödie »Das Hochzeitsbankett« bereits der zweite Ausflug in die Thematik homosexueller Liebe. Allerdings könnten Inhalt und Tonfall der Erzählung kaum unterschiedlicher sein. Die Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne, die in Lees früher »Father Knows Best«-Trilogie (»Das Hochzeitsbankett«, »Eat Drink Man Woman« und »Pushing Hands«) in fernöstlicher Prägung zu sehen war, hat sich mittlerweile auf das Feld der amerikanischen Mythologie verlagert und dem Hollywood-Mainstream auf meisterliche Weise angepasst. Ang Lees Werk reicht nun von den Umbrüchen der Vietnamjahre (»Der Eissturm«), dem Trauma des Bürgerkriegs (»Ride with the Devil«) über die Ausdruckswelt der Comics (»Hulk«) bis zur psychologischen Landschaft des späten Westerns. Wie immer geht diese Aneignung ohne spektakuläre Inszenierungsgesten vor sich und mit größter Sorgfalt in der Milieu- und Charakterzeichnung. Kein Panoramaschwenk kann das unwirtliche Gebirge so verlässlich als Sehnsuchtsort der verhinderten Liebenden beschwören wie die Parallelmontage zweier die bürgerliche Normalität erfolglos zelebrierender Familienfeste.
In den frühen 1960er Jahren beginnend, umspannt »Brokeback Mountain« zwei Jahrzehnte versäumter Möglichkeiten und innerer Zerreißproben. Als Jacks nach langer vergeblicher Suche endlich Ennis Adresse herausfindet, trennen die beiden Männer eine Tagesfahrt, die Homophobie der Kleinstadt und das Treuegelöbnis gegenüber ihren Frauen und Kindern. Das hält Ennis zwar nicht davon ab, bei ihrem Wiedersehen alle Vorsicht zu vergessen, doch erfüllt sich ihre heimliche Liebe stets im Zwiespalt zwischen Neigung und Pflicht. »Nächstes Jahr, gleicher Ort«, heißt es nach jedem Wochenendausflug »zum Fischen« – bis sich der an den Schläfen ergraute Jack damit nicht mehr zufrieden geben mag.

Ein universales Liebesdrama zweier Gegensätzlicher

Der überraschende Erfolg von »Brokeback Mountain« hat bei einigen Rezensenten im Nachhinein Bauchschmerzen ausgelöst. Doch warum sollte sich das Melodram zweier schwuler Männer nicht zu everybody’s darling mausern dürfen? Ang Lee inszeniert seinen Film als universales Liebesdrama, sein Erfolg erklärt sich vor allem daraus, dass keine Programmatik hinter der Eroberung der letzten Grenze steckt, sondern sich die Geschichte ganz aus ihren gegensätzlichen Charakteren heraus entwickelt. Jake Gyllenhaals Jack ist die treibende Kraft der beiden Liebenden, äußerlich ein Frauenschwarm, dessen Androgynität nach allen Seiten strahlt. Heath Ledger spielt Ennis Del Mar dagegen als Koloss auf tönernen Füßen der Empfindsamkeit; hinter seinem einsilbigen Naturell lodert eine Wut – weniger auf die Verhältnisse als auf sich selbst. Nicht zuletzt dank dieser von ihm gewohnt exzellent geführten Hauptdarsteller (und eines großartigen Ensembles) hat Ang Lee dem Western eine bewegende Variation hinzugefügt. Seine Cowboys reiten einsam, aber nicht allein.

Brokeback Mountain (dto) USA 05,
R: Ang Lee, D: Heath Ledger,
Jake Gyllenhaal, Anne Hathaway,
134 Min. Start: 9.3.