Arglos am Plattenteller

Mit seinem zweiten Buch »Disko Ramallah« wandelt DJ Hans Nieswandt auf den Spuren von Mark Twain

»Da platzt dir fast die Birne.« Nein, das ist kein Mark-Twain-Zitat. So klingt es, wenn Hans Nieswandt das Gefühl beschreibt, mit einer Dreadlock-Perücke auf dem Kopf beim Karneval Platten aufzulegen und dabei am Hitzestau fast zugrunde zu gehen. Auch Karneval kann mitunter eine ziemlich merkwürdige Erfahrung sein, und genau darum geht es Nieswandt in »Disko Ramallah«: um Situationen und Orte »mit hohem Merkwürdigkeits-Mehrwert«, in die er als DJ auf seinen Reisen rund um die Welt gerät.

Nieswandt weiß, wie öde die typische DJ-Sprache ist, die nur in einem eingeweihten Kreis funktioniert – wie geil eine Party abgeht, wie perfekt der Typ hinter den Plattentellern, in diesem Fall der Autor selbst, diesen Track mit jenem kombiniert etc. Er meidet sie, so gut es geht. Ganz gelingt es ihm nicht, weswegen einige Episoden über Hochzeiten oder Vernissage-Beschallungen recht schnell überlesen werden können. Doch im weiten Teilen gelingt das Vorhaben, ein locker unterhaltendes und dabei informatives Buch zu schreiben. Was daran liegt, dass Nieswandt eben etwas zu erzählen hat, speziell von seinen Reisen im Auftrag des Goethe-Instituts, die ihn als kulturellen DJ-Botschafter z.B. in den Nahen Osten führten.

Techno aus Köln in Rio

In Anlehnung an Mark Twain und dessen Reiseromane versteht sich Nieswandt als »Argloser im Ausland«, der mit leicht naivem Blickwinkel durch die Lande zieht, akkurat und humorvoll beschreibt, was er sieht, politische und historische Hintergründe einfließen lässt und damit auf eine Ebene der Reflektion gelangt, ohne den LeserInnen gleich arrogant seine Schlussfolgerungen aufzuzwingen. Dabei liefern die Mechanismen des Reisens den Rahmen für die Schilderung der Gegebenheiten vor Ort, ob nun in Bethlehem und Beirut oder in Kiew. Reisende erfahren in der Ferne viel über sich selbst und über die kollektiven Überschreibungen ihrer Individualität. So wird Nieswandt beispielsweise mit der Erfahrung konfrontiert, allein aufgrund seines deutschen Passes als total cool zu gelten, und Rio de Janeiro wird zum idealen Ort, um über Techno aus Köln zu räsonieren.

»Disko Ramallah« ist wie Nieswandts erstes Buch eine Sammlung von Anekdoten ohne Theorieballast, auch wenn diese Tatsache dem ehemaligen Spex-Redakteur und Journalisten mitunter zum Vorwurf gemacht wurde. Doch die Strategie hat sich offensichtlich bewährt: niemanden ausschließen, im Idealfall alle unterhalten. »Disko Ramallah« ist Lesestoff, der so leicht in die Birne geht wie ein Discobeat.

Hans Nieswandt: Disko Ramallah. Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 256 S., 8,95 €.

Lesung + Party:
Hans Nieswandt liest aus »Disko
Ramallah« zum Auftakt der Reihe
»Into Disco« (Bühne der Kulturen),
anschl. Party mit Eric D. Clark.
Sa 22.4., 21 Uhr (Einlass), Arkadas Theater, Platenstr. 32, Tel. 955 95 10