Walverwandlungen

Eine Ladung warme Vaseline wird in einem Prunkumzug von einer Raffinerie zu einem Verladedock geleitet. Von dort lässt man sie in eine Form fließen, die sich an Bord der »Nisshin-maru«, des Flagfabrikschiffs der japanischen Walfangflotte, befindet. Ein Fremder (Matthew Barney) und eine Fremde (Björk) finden sich bald an Bord wieder, wo sie sich auf ein Verwandlungsritual vorbereiten. Als Wale entschwinden sie am Ende im Meer.
Wer je einen Film des amerikanischen Künstlers Matthew Barney gesehen hat, weiß, dass man sich mit Nacherzählungen nur sehr grob dem nähern kann, was sich da vor einem vollziehen wird. Erzählt – im Sinne von erfahrbar gemacht – wird in der Pop-Oper »Drawing Restraint 9« mehr, viel mehr: Es gibt Bezüge, konkrete Verweise neblige Andeutungen und ein entschlüsselbares System, dem man sich aber auch einfach verschließen kann, um als Zuschauer in der Schönheit der Rätsel und Bilder aufzugehen.

Dokument einer Performance

»Drawing Restraint 9« ist nicht nur die komplexeste Arbeit der 1987 begonnenen Reihe. Sie ist vor allem in gewisser Hinsicht Barneys erster echter Film, da »Drawing Restraint 9« – im Gegensatz zum »Cremaster«-Zyklus – weitgehend unabhängig von den Verkaufszwängen des Ausstellungszirkus’ gemacht wurde. Zumindest wird in dem Film so ziemlich alles, was in einer Galerie oder einem Museum enden könnte, auf die ein oder andere Art vernichtet.
Gemäß der Kernidee von »Drawing Restraint« – der Erforschung des kreativen Prozesses – konnte sich Barney hier also ganz und gar in den Akt des Filmemachens fallen lassen. Man könnte auch sagen: Die Realisierung von »Drawing Restraint 9« war eine Performance, deren Dokument der Film ist, in dessen Existenz alle Spuren der Performance selber aufgehen. Ironischerweise ist dabei das Verwandlungsritual, also jene Szene des Films, die den nachhaltigsten Performance-Charakter hat, eine computergestützte Spezialeffekt-Orgie.
Beim »Cremaster«-Zyklus waren also die Filme immer nur ein Teil von etwas beziehungsweise ein Nebenprodukt, bei »Drawing Restraint 9« ist alles dem Endprodukt Film unterworfen.

Warme Vaseline im Zug gen Norden

Was erfährt man nun in dem Film? Was gibt es zu sehen, zu hören, zu fühlen? Zum Beispiel, wie die »Nisshin-maru« aussieht, wie sie funktioniert, wie der Alltag auf dem Fabrikschiff aussieht; da ist der Film ganz dokumentarisch, interessiert, genau und in der Beschreibung der Arbeit des Walfangs angenehm unaufgeregt. Zum Beispiel, wie im Zug gen Norden die warme Vaseline abkühlt zu einem extrem trägen, dabei nie ganz festen Block in der aus »Cremaster« geläufigen Siegelform, die unter anderem auch einer Mahlzeit der Schiffsbesatzung die Form verleiht. Zum Beispiel, die Sinnlichkeit der wunderschönen Ritualrequisiten, die Barney geschaffen hat, das tolle Teeservice – Grundform: Seeigel-Kastanie –, die phantastischen Kostüme für seine Gattin und sich – sie als Über-Geisha, er als eine Art Triton im Kimono –, die Ausstrahlung der Stoffe, die kinemathographische Übersetzung ihrer haptischen Qualitäten, wie sie glänzen und klingen.
Beeindruckend ist auch die Feinsinnigkeit, mit der Barney Björks Lieder mit seinen Bildern und Bewegungen und filmischen Gesten verwebt, wobei sich in den Liedern die hybride Natur des Films kongenial spiegelt – so erfährt man, wie die Kino-Welt immer Bild wie Klang ist. In der Art, wie sich die Gegensätze ineinander verwinden und eins werden und sich wandeln und wieder lösen, wie die Dinge fließen, liegt am Ende eine beeindruckende Ruhe.


Drawing Restraint 9 (dto) USA/J 05,
R: Matthew Barney, D: Matthew Barney, Björk, Mayumi Miyata, 135 Min.
Filmhaus: 8.-10.6., 17 Uhr; 11.6., 16.30 Uhr; 11.-14.6., 19 Uhr; 8.-11.6. u. 13.6., 21.15 Uhr;
15. u. 17.-20.6., 21 Uhr; 16.6., 22 Uhr;
15./17./18.6., 17.15 Uhr; 22.6., 17.15 Uhr; 23.-28.6., 21.15 Uhr.