»Man hat als Mensch keine Kontrolle über das Leben«

Cool und komplex: Martina Gedeck über ihren neuen Film »Sommer 04« und Regisseur Stefan Krohmer

 

Hanna Schygulla war die Letzte, die im deutschsprachigen Kino die Aura eines internationalen Stars besaß. Seither hat es immer wieder herausragende Schauspielerinnen gegeben, aber nur wenige, die allein einen Film tragen konnten. Martina Gedeck (Jahrgang 1964) hat man komplexe Frauenfiguren lange nur im Fernsehen zugetraut. Seit der Kinokomödie »Bella Martha«, von der zurzeit in Hollywood ein Remake mit Catherine Zeta Jones in der Hauptrolle gedreht wird, sah man sie aber auch im Kino in anspruchsvollen Rollen, zuletzt in Großproduktionen wie »Elementarteilchen« oder »Das Leben der anderen«. Inzwischen interessiert sich das Ausland für die in Berlin lebende Bayerin. Unter der Regie von Robert de Niro spielte sie eine Nebenrolle in der US-Produktion »The Good Shepherd« (Deutscher Filmstart: Januar 2007). In Stefan Krohmers zweitem Kinofilm »Sommer 04«, der in Cannes in der Reihe Quinzaine des Réalisateurs begeistert aufgenommen wurde, brilliert sie als eine Frau, deren Welt während eines Segelurlaubs abrupt aus den Fugen gerät.

StadtRevue: Wie fanden Sie und Stefan Krohmer zusammen? Er ist ja eher ein Anfänger.

Martina Gedeck: Nein, das ist er nicht. Er hat ein paar preisgekrönte Fernsehfilme gemacht und einen Kinofilm. Er ist in dem, was er macht, sehr gut. Er hat eine eigene Handschrift und genug Erfahrung. Er hat mir das Drehbuch geschickt, und dann haben wir uns getroffen. Es war für mich relativ schnell klar, dass ich den Film machen will. Die Figur hat mich von Anfang an interessiert.

Was hat Ihnen an Krohmers Kino­debüt »Sie haben Knut« gefallen?

Mir gefällt sehr die lakonische Art, wie Krohmer und sein Autor Daniel Nocke Filme erzählen. Die beiden sind ja seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Filmakademie Ludwigsburg ein Gespann. Ich mag, dass die Figuren intelligent sind. Die Klugheit dieser Menschen springt als Erstes ins Auge. Das heißt nicht, dass sie deswegen abgehoben sind oder intellektuell. Es sind nicht so seltsam kindhafte Erwachsene. Das ist außergewöhnlich, und das scheint die beiden auch zu interessieren. Die Filme spielen immer in einem mittelständischen Milieu und die Handlung hat immer einen Touch von Thriller. Es gibt nichts Vorhersehbares.

Sie sind auch in einer erkennbaren Realität verwurzelt.

Das stimmt. »Ende der Saison«, eine Fernsehproduktion mit Hannelore Elsner und Anneke Kim Sarnau von 2001, ist ein unglaublich genaues Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung in unserer Zeit. Sehr spannend und frech. Krohmers Frauenfiguren sind cool. Die coolen Frauen kommen in vielen Filmen oft von der Straße. Hier kommen sie nicht von der Straße und sind trotzdem cool.

Was haben Sie sich von der Zusammenarbeit mit einem so jungen Regisseur versprochen?

So jung? Wir waren eher auf einer Stufe bei der Zusammenarbeit. Da ich meistens mit älteren Regisseuren drehe, habe ich gedacht: Ah, das ist jetzt meine Generation. Wenn er mir was erzählt hat, dann habe ich ihn verstanden. Das ist nicht immer unbedingt der Fall.

Was sagen die Konflikte innerhalb des Fünf-Personen-Geflechts des Films über die Befindlichkeiten zwischen den Generationen aus?

Interessant ist, dass die Frau ihre Familie ohne ersichtlichen Grund verlässt. Er wird nicht wirklich erzählt, den gibt es aber und der ist auch spürbar. Als die Dinge in ihrer Familie eskalieren, entschließt sie sich sehr schnell, ihr Leben komplett zu verändern. Außergewöhnlich und neu ist die Art, das zu erzählen. Es wird viel ausgespart, und wir müssen uns nicht diese psychologischen Begründungen dauernd ansehen. Es fehlt auch die moralische Bewertung. Und wenn man genau hinguckt, sieht man, dass das Verhältnis, das sie mit ihrem Freund hat, nur peripher die beiden Leben berührt.

Sie spielen die besorgte Mutter Miriam und zugleich eine sexuell aktive Frau in ihren besten Jahren. Was lässt sie außer Kontrolle geraten?

Man hat als Mensch keine Kontrolle über das Leben. Das vergessen wir gerne. Und hier wird gesagt: Das Leben ist stärker als der Mensch. Kann man sich nicht helfen, wird man überrollt. Miriam gerät in eine Situation, die sie von Anfang an nicht wollte. Obwohl sie das zwölfjährige Mädchen, das eine Beziehung mit einem 40-jährigen Mann beginnen möchte, schützen will, erreicht sie das genaue Gegenteil, wie in einer griechischen Tragödie. Die Männer geben sich da toleranter und sind im Grunde nur gleichgültig. Sie verhält sich als Einzige vernünftig, und das wird ihr zum Verhängnis. Als sie den Tod des Mädchens indirekt verschuldet, läuft sie dennoch nicht belastet durch die Gegend. Sie weigert sich, das fleischgewordene schlechte Gewissen zu sein. Im Gegenteil. Sie ist glücklich. Sie ist frei.