Watchdog

Was waren das für Zeiten, als man sich noch im sicheren Schutze der Einwegkommunikation hinter seinem Fernseher wegducken konnte, wohl wissend, das niemand wirklich mitbekommt, was man sich auf den Bildschirm ruft: Peinliche Lieblings-Soaps, US-Wrestling, Snooker-WM oder auch mal was saftig Erotisches – was geguckt wurde, blieb Geheimnis des Zuschauers. Doch things change, wie der Amerikaner sagt, und wenn demnächst digitales Fernsehen auch über Satellit nur noch mittels Decoder, Smartcard und Grundgebühr zu empfangen sein wird, weiß auch Herr Astra stets, woran sich der Zuschauer delektiert, die Herrschaften der Kabelfirmen wie Ish oder Kabel Deutschland wissen es ohnehin. Ganz zu schweigen von IP-TV, dem neuen buzzword der Branche, denn wenn Fernsehen erstmal flüssig übers Internet strömt, wird der TV-Kunde ganz und gar gläsern mit seinen kleinen Schrullen und dem Bedürfnis nach medialer Tröstung. Kein heimliches Derrick-Gucken mehr, und ach, nie mehr Rosen verteilen mit dem Bachelor, zu groß wäre das Risiko der Enthüllung.

Es ist das Ende der anonymen TV-Nutzung, und natürlich geht es um Geld: Alle Haushalte werden einzeln adressierbar, um sie mit individuell bestellten und bezahlten Sendern und Programmen versorgen zu können. Allein RTL, aktiver Förderer der Entwicklung, will dem­nächst mit den drei neuen Pay-TV-Kanälen RTL Living, RTL Crime und dem Soap-Kanal Pas­sion auf Sendung gehen, die dann über Kabel und Satellit einzeln abgerechnet werden können. Und auch im Gratis-Biotop DVB-T sollen die Kanäle bis spätestens 2009 nur noch verschlüsselt gegen Gebühr verfügbar sein. Zwar meckern Verbraucherschützer und Medienpolitiker, doch aufzuhalten scheint die Entwicklung nicht. Werbung müsste nicht mehr im Gießkannen­prinzip über die Republik ausgeschüttet werden, schließlich kennt der TV-Anbieter seinen Kunden dann genau und kann ihm Spots nach Präferenz zuspielen. Sicher, es wird sich auch Paranoia breitmachen: Bei all der Interaktivität ist nicht auszuschließen, dass der Sender aus dem Bildschirm he­raus auch ins heimische Wohnzimmer schauen kann, das fortan wohl öfter mal aufgeräumt wird – sicher ist sicher.

Noch nicht ganz angekommen in der neuen Medienwelt ist der WDR, dem bislang wohl verborgen blieb, dass die Adressierbarkeit der neuen Medien kein Privileg großer Sendeanstalten ist und, gewissermaßen, auch andersrum gilt. Als sich WDR-Intendant Fritz Pleitgen zuletzt anschickte, seine Amtszeit womöglich doch noch zu verlängern, wurde das im Online-Lexikon Wikipedia kritisch kommentiert. Was heißt kritisch, es wurde auf Lobhudeleien verzichtet, und irgendwo stand ein Hinweis auf das Pleitgen-Porträt »Der Souverän« von Hardy Prothmann. Zumindest dem Internet-User mit der IP-Nummer 149.219.195.223 schien das Ganze aber doch zu unvorteilhaft, so dass er den Eintrag bis auf einige Sätze kurzerhand wieder löschte. Als Einzelfall wäre dies kaum relevant, kommentierte das Online-Magazin Telepolis, doch bereits seit Wochen wurden auf der Seite Texte zum WDR hin- und herkorrigiert. Nun, die IP-Nummern der emsigen Zensoren wurden zurückverfolgt und man landete, strike, direkt am Appellhofplatz 1 – beim WDR. Da steht man hilflos vor der Wahl, was wohl peinlicher ist: Der dienstfertige Akt der Manipulation, oder die Unkundigkeit, mit der sie exerziert wurde. Und schon wächst die Blüte des Mitgefühls: Der alte Fritz, in seinen letzten Intendanten-Tagen unerbittlich verfolgt vom Kleingeist seines Riesen-Ladens, das hat er nicht verdient und auch gar nicht nötig.