Der Gewalt entkommen

Vor dreißig Jahren eröffnete in Köln das erste Frauenhaus.

Bis heute finden Frauen hier Schutz vor häuslicher Gewalt.

Yvonne Greiner hat einige von ihnen getroffen und mit einer Gründerin gesprochen.

Die Frauen lachen viel während der Theaterprobe. Manchmal dringt aus einer Ecke ein teenagerhaftes Kichern, manchmal lautes Gelächter. Dass ich auf eine gedämpftere Stimmung eingestellt war, liegt am Thema der Theatercollage: »Mutige Wege« erzählt die Geschichte von neun Frauen, die in einem der mittlerweile zwei Kölner Frauenhäuser gewohnt haben. Sie wurden von ihren Männern geschlagen und gedemütigt. Die Zuflucht im Frauenhaus war für sie der einzige Weg, dieser alltäglichen Grausamkeit zu entkommen – heute führen sie ein selbstständiges Leben. Von diesem Entkommen handelt die Theatercollage, die die Frauen unter Anleitung der Theaterpädagogin Charlott Dahmen proben. Ende November wird das Stück im Rahmen der Feier »30 Jahre autonome Frauenhäuser« in Köln zum ersten Mal aufgeführt. Anfang nächsten Jahres folgen Aufführungen im Arkadas-Theater.

Das Jubiläumsjahr beschert den Frauenhäusern viel Anerkennung und zahlreiche GratulantInnen. Unter ihnen auch die Kölner Sozialdezernentin Marlis Bredehorst (Grüne), die die Wichtigkeit der autonomen Frauenhäuser betont und sich für deren Erhalt einsetzen will – auch wenn die Stadt kein Geld habe, um die seit Januar 2006 um dreißig Prozent gekürzten Landesgelder auszugleichen. Doch auch die moralische und politische Anerkennung war nicht immer selbstverständlich. So war der im Gründungsjahr 1976 amtierende Sozialdezernent Hans Erich Körner etwa der Meinung, Gewalt gegen Frauen sei in Köln kein Thema.

Das erzählt Maria Mies, emeritierte Professorin für Soziologie an der Kölner Fachhochschule und eine Gründerin des Frauenhauses. Sie erinnert sich gut an den Sommer 1976, als sie mit Studentinnen in der Schildergasse Rabatz machte, um der Forderung nach Einrichtung eines Frauenhauses Nachdruck zu verleihen. Im selben Jahr förderte eine Debatte im Sozialausschuss zutage, dass monatlich hundert Fälle von Misshandlungen bekannt wurden, ohne dass die Stadt die Möglichkeit hatte, den Frauen Hilfe anzubieten. Im Dezember 1976 schließlich gingen die Frauen, die inzwischen den Verein »Frauen helfen Frauen« gegründet hatten, der bis heute Träger der Frauenhäuser ist, in ein besetztes Haus in Dellbrück und forderten, die Stadt solle für die Miete aufkommen. Das erste Kölner Frauenhaus war entstanden. 1991 kam aufgrund des wachsenden Bedarfs ein zweites dazu. Aus Sicherheitsgründen sind die Adressen der Häuser nicht öffentlich bekannt.

Auf der improvisierten Bühne liegt inzwischen eine grellgrüne textile Wiese. Drei Frauen in weißen Hosen und pink-orangen Blusen liegen sternförmig auf dem Rücken. Der Ghettoblaster gibt Texte wieder, die die Frauen eingesprochen haben. »Ich war ein Samenkorn. In meinem Herzen gab es eine Welt voller Energie, Schönheit und Liebe. Aber ich wusste nicht, wie ich mich und all diese Schönheit und Fähigkeit zeigen kann. Bis mich eines Tages eine nette Frau fand. Sie hat mich in die Erde eines Gartens gepflanzt.« So beginnt Maryams Text. Er endet mit einem Dank »an die nette Frau für ihre Unterstützung und dass sie immer an meine Energie und meine Potenziale geglaubt hat.« Als der Text zu Ende ist, setzt Musik ein, die Frauen stehen auf, wachsen langsam, bis sie sicher und aufrecht stehen. Was ich andernorts als kitschig empfände, berührt mich und nötigt mir Respekt ab. Die neun Frauen verstecken sich auch nicht hinter bereits geschriebenen Dialogen und Rollen, sie sprechen ihren eigenen Text, spielen selbst erarbeitete Szene. Das nimmt den Auftritten jede Peinlichkeit und verleiht ihnen eine bestechende Direktheit. Charlott Dahmen erzählt auch von den Schwierigkeiten der Proben, von den Tränen. Eine Frau hat die Theatergruppe verlassen: Die neuerliche Auseinandersetzung mit der eigenen Gewalterfahrung war zu viel. Auch das wird hier respektiert.

Ein solches Theaterstück wäre zur Gründungszeit des Frauenhauses kaum denkbar gewesen. Gewalt gegen Frauen war tabuisiert, geprügelte Frauen galten als Opfer eines Ehekrachs, und der war Privatsache. Heute wird häusliche Gewalt nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen. Die Frauenbewegung hat in den letzten drei Jahrzehnten unter anderem erreicht, das es Gesetze gibt, die Gewalt gegen Frauen und Kinder ächten. Das so genannte Gewaltschutzgesetz etwa stellt klar, dass der Täter und nicht mehr das Opfer die Wohnung verlassen muss. Auch werden inzwischen Hilfseinrichtungen öffentlich finanziert, bei Staatsanwaltschaften Sonderdezernate eingerichtet, die Polizei wird geschult, und aus unverbindlichen Runden Tischen sind Institutionen geworden. Es hat sich also vieles verändert, betrachtet man die gesellschaftliche Sanktionierung häuslicher Gewalt.

Warum aber braucht es dann immer noch Frauenhäuser – anonyme Räume, die Schutz gewähren und nach dem Prinzip Parteilichkeit für die geschlagenen Frauen und deren Kinder arbeiten? Die beiden Kölner Frauenhäuser müssen täglich drei bis vier Frauen abweisen, weil sie zu wenig Platz haben. »Der Bedarf wird eher größer mit der sinkenden Bereitschaft in der Gesellschaft, die Gewalt selbstverständlich zu dulden. Betroffene Frauen holen sich vermehrt Hilfe«, argumentiert Anita Heiliger. Sie ist Sozialwissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut in München und seit 1975 in der autonomen Frauenbewegung engagiert.

Die nächste Szene ist die schwierigste für die Theatergruppe. »Ein Tag im Frauenhaus« heißt sie, in schneller Abfolge wird der Alltag skizziert: Eine Frau kommt neu an, versucht sich zurechtzufinden; eine schreckt weinend aus dem Schlaf hoch, eilt zum Fenster und glaubt ihr Mann stände vor der Haustür; eine der Frauen feiert Geburtstag; eine Frau ohne gesicherten Aufenthaltsstatus bekommt ihre Abschiebung per Post mitgeteilt. Claudia Schrimpf von »Frauen helfen Frauen« bestätigt, dass es immer wieder vorkommt, dass Bewohnerinnen des Frauenhauses abgeschoben werden sollen. Etwas mehr als die Hälfte der Frauen, die in einem der Frauenhäuser leben, so schätzt sie, sind Migrantinnen. So viele waren es zur Gründungszeit nicht, doch auch Maria Mies erinnert sich an türkische Frauen, die damals ins Frauenhaus kamen. Inzwischen gehört die Beschäftigung mit dem Zuwanderungsgesetz, aber auch mit den Hartz-IV-Regelungen, zum voll gepackten Alltag im Frauenhaus. Die eine Stelle weniger, durch die Kürzungen verloren gegangen, fehlt an allen Ecken und Enden.

Maria Mies Antwort auf die Frage, was sich denn verändert habe seit 1976, ist ein Paukenschlag: »Wir wollten die Gewalt gegen Frauen abschaffen. Doch die Gewalt gegen Frauen hat seither noch zugenommen, sie hat sich verschärft, sie ist globalisiert.« Die 75-Jährige sieht deshalb die neue Herausforderung für die Frauen darin, »ihren Horizont zu erweitern. Sie müssen fragen: Wo kommt die Gewalt her. Sie müssen die Globalisierung in den Blick nehmen.« Diesen Anspruch, das Problem der Gewalt gegen Frauen nicht nur sozialarbeiterisch anzugehen, sondern dessen politische Dimension in den Blick zu nehmen, hat sich das Kölner Frauenhaus auch nach dreißig Jahren erhalten: Die Fachtagung, die Ende November stattfindet, trägt den Titel »Gewalt gegen Frauen im globalen Kontext«.

Die Theatercollage schließt mit einer Szene, die »Werbespots« heißt: Jede der neun Frauen verkündet, was sie erreicht hat seit ihrer Zeit im Frauenhaus. »Post für mich – öffne nur ich!«, sagt Meral. »Ich verdiene mein eigenes Geld«, sagt Mitra. »Ich habe den Führerschein gemacht. Heute bestimme ich, wohin ich fahre«, sagt Hayriye. »Es war nicht leicht, aber heute habe ich sie: die unbefristete Aufenthaltserlaubnis«, sagt Maryam. Und dann, alle gleichzeitig: »Ein Leben ohne Gewalt tut gut. Wir wissen, wovon wir sprechen!«

TERMINE & INFOS

Aufführung im Rahmen des Jubiläumsfestes
»30 Jahre autonome Frauenhäuser«, 24.11.,
ab 18.30 Uhr, Bürgerhaus Stollwerck.

Aufführungen im Arkadas-Theater: 21.1.07,
15 Uhr (Premiere); 1.2.07, 19.30 Uhr; 4.2.07,
15 Uhr (nur für Frauen)