Farce gebiert Videoclip

Uraufführung von Frédéric Beigbeders »39,90« in Düsseldorf

Was im vergangenen Frühjahr effektsicher als (und für) »39, 90« auf Deutsch erschien und Frankreich nach Houellebecq einen weiteren Skandalautor bescherte, ist die zynisch böse bis aphoristisch brillante Abrechnung Frédéric Beigbeders mit der Werbebranche. In dieser arbeitete er selbst zehn Jahre lang – bis kurz vor Veröffentlichung dieses Romans: Dann wurde ihm wegen »schweren Fehlverhaltens« von seinem Arbeitgeber gekündigt.
Ganz so, wie sich bereits sein Romanheld Octave Parango regelrecht anstrengt, seine Kündigung zu erreichen: Nachdem er den Jogurt-Magnaten Duler auch mit dem zwölften Kampagnen-Vorschlag nicht zufrieden stellen konnte, beschmiert Octave mit dem Blut seiner vom Koks triefenden Nase die Toilette in der Konzernzentrale. Ohne Erfolg, denn der letzte Werbevorschlag wird zum Treffer. Von seinem beruflichen Höhenflug frustriert, treibt er seine schwangere Freundin in den Selbstmord, bevor er in Miami mit einem Kollegen einen sinnfreien Mord an einer älteren Frau begeht, um schließlich in Cannes verhaftet zu werden.
Die Romanlektüre von »39, 90« spaltet: Man weidet sich an der gnadenlosen Lästerei, die das Werk streckenweise ins Pamphlethafte abgleiten lässt, man erschrickt aber auch vor dem monströsen, selbstgerechten Narzissmus, der sich da artikuliert. Die Bühnenfassung von Regisseur Burkhard Kosminski und seinem Dramaturgen Ingoh Brux konzentriert sich auf das Anekdotische des Romans. Das befreit die Geschichte zwar von ihrer extremen Subjektivität, raubt ihr aber das zwingende, das unlogisch emotionale Moment der Wut.
Für die Uraufführung hat man in Düsseldorf ungefähr die halbe Werbeszene der Landeshauptstadt zur Mitarbeit gewonnen. Tobias Meinecke und vier weitere Film- und Werberegisseure realisierten Filmsequenzen und Werbespots. So kann Kosminski die Kloschmierereien seiner Hauptfigur filmisch ebenso eindrücklich präsentieren, wie die verzweifelt tabubrechenden Werbeeinschübe, die Beigbeder in seinem Roman nur beschreiben konnte.
Trägt die Inszenierung zu Beginn noch Züge einer galligen Farce, die sich der Mittel der Branche bedient, um sie zu entlarven, so genügt sie sich in der akustischen und visuellen Aktualität ihrer Mittel allzu bald selbst. Dazu trägt bei, dass nicht ersichtlich wird, wieso mal in Film- dann wieder in Bühnensequenzen die eigentliche Handlung fortgetragen wird. So verschwimmen die ästhetischen Konturen der Aufführung zu einem flimmernden Brei. Die Farce gebiert ihren eigenen Videoclip und bleibt davor hocken.

»39, 90« von Frédéric Beigbeder, R: Burkhard C. Kosminski, Düsseldorfer Schauspielhaus, Kleines Haus, 22., 23., 31.12, 10., 13., 14., 21.1., 19.30 Uhr.