Leiter zum Himmel

Dem Mainstream entkommen: Gus Van Sant beschließt mit

»Last Days« seine Trilogie über jugendliches Sterben

 

Gus Van Sant kennt den Wert des Lebens. Zu viele aus seinem Freundskreis hat der bekennende Homosexuelle an Aids oder Drogen elend zugrunde gehen sehen, als dass er im Verdacht stehen könnte, in einer spätpubertären Anwandlung den Tod als glamourös morbides Ereignis zu begreifen. Dennoch hat er eine Trilogie jugendlichen Sterbens vorgelegt, die ihr verbindendes Thema merkwürdig distanziert begreift, sachlich und metaphysisch zugleich, in einer Art heiliger Nüchternheit. Deren letzter Teil, »Last Days«, läuft nun mit einiger Verzögerung endlich auch in einem Kölner Kino an.

Tödlicher Ausflug in die Wüste

Im ersten Film, »Gerry« (2002), der in Deutschland nur auf DVD erschienen ist, verlaufen sich zwei Freunde auf einem Ausflug in der Wüste. Während ihre Umgebung zusehends karger wird, stolpern die beiden ziellos immer weiter, ohne Wasser oder Nahrung und, wie man anfangs noch belustigt registriert, ohne jedes Bewusstsein für das Bedrohliche ihrer Lage. Was beeindruckt, sind die Perspektiven auf eine schier endlose Landschaft. Kurz vor Ende des Films und ihrer Kräfte durchqueren die zwei eine Salzwüste bei Sonnenaufgang, eine schier endlose Kamerafahrt folgt ihnen auf Distanz, der Wechsel des Lichts ist von atemberaubender Schönheit. Wenig später wird einer der beiden tot sein. Der Highway wäre nur ein paar Schritte weiter gewesen.

Das Szenario kreuzt Beckett, Buster Keaton und die minimalistischen Naturbeobachtungen eines James Benning, gesprochen wird wenig, und wenn, sind die Dialoge von erlesener Absurdität. Beide Figuren heißen wie der Film, und aus ihren Unterhaltungen geht hervor, dass ihr Name schon vor dieser fatalen Fehlleistung gleichbedeutend war mit: eine Sache gründlich vermasseln. Wie der Rest der Trilogie beruht auch »Gerry« auf einer wahren Begebenheit, ist aber von jeglicher Anmutung von Realismus so weit entfernt wie kein anderer Film des Regisseurs davor oder seither.

Tod ohne Warnung

Offenbar hatte Van Sant 2002 eine radikale Kehrtwende dringend nötig – weg von seinen hoch budgetierten Mainstream-Produktionen der späten 90er Jahre, weit weg vor allem von »Good Will Hunting«, der ihm eine Oscar-Nominierung und einen Kassenerfolg in Millionenhöhe beschert hatte. Wie ihm all das geschmeckt hat, kann man an seinem Cameo in Kevin Smiths »Jay and Silent Bob Strike Back« ablesen. Dort sitzt Van Sant als er selbst vor einem Batzen Geld und ist zu beschäftigt mit dem Scheine-Zählen, als dass ihn die Dreharbeiten zum fiktiven Sequel (»Hunting Season«) bekümmern könnten. Kein Wunder, dass er Matt Damon in »Gerry« buchstäblich in die Wüste schickte.

Die minimalistische Ästhetik bestimmte auch »Elephant« (2003), Van Sants eigenwillige Aufarbeitung des High-School-Massakers von Littleton. Nach dem langsamen Tod durch das Ausgeliefertsein an die Natur handelt dieser Film vom gewaltsamen, plötzlichen Sterben ohne jede Vorwarnung. Die Bilder besorgte auch hier Harry Savides, der in langen, elegischen Fahrten die Begegnungen einer Gruppe von Schülern auf dem Campus einfing, ihre letzten, flüchtigen Augenblicke an einem Sommertag, an dem der blaue Himmel unendlich schien. Dazu schufen das Sounddesign von Leslie Schatz und Hildegard Westerkamps Musique-concrète-Kompositionen ein dichtes Gewebe aus Beethoven und zart knisternden Ambient-Blöcken.

Dekadenz und Verfall

»Last Days« (2005), der sich mal lose, mal konkret an den letzten Tagen von Nirvana-Frontmann Kurt Cobain orientiert, ist mit einem Soundteppich aus Kirchenglocken und Vogelzwitschern unterlegt. Blake/Cobain (Michael Pitt) murmelt unentwegt Unverständliches, während ihm Savides’ Kamera auf seinen Wegen durch die labyrinthische Anlage seines am Waldrand gelegenen Anwesens und dessen Umgebung folgt. Von Außen ein imposanter herrschaftlicher Bau aus grauem Stein, im Inneren alles Dekadenz und Verfall. Die Farbe blättert von den Wänden, und während seine Entourage mühsam versucht, die Orgie auf Sparflamme am Laufen zu halten, bereitet sich ein apathischer Blake in der Küche unbeholfen Makkaroni mit Fertig-Käse­soße zu, schleicht in Negligé und Jägermütze mit der Schrotflinte durchs Haus oder improvisiert mit sich allein im Tonstudio.

»Last Days« ist voller Einstellungen auf Türen und Fenster, Ein- und Ausgänge, wie um dem Solipsismus seiner Hauptfigur zu widersprechen. Selbst für seine Umgebung ist der somnambule Superstar derart unsichtbar, dass er sich in einem Glashaus verstecken kann, ohne bemerkt zu werden. Wie beiläufig streut der Film Motive des gewaltsamen Sterbens zwischen Opfertod (Jesus am Kreuz) und Unfall ein, wie etwa in der Erzählung vom falschen chinesischen Magier, der so lange Gewehrkugeln mit seinen Zähnen auffing, bis ihm der Trick misslang.

Keine schwerelose Himmelfahrt

Dem Film ist nicht daran gelegen, etwas Neues herauszufinden über einen prominenten Suizid, der von den Medien bis zum Überdruss durchgenommen wurde. Drogen spielen keine Rolle, umso mehr eine existenzialistisch aufgeladene Spiritualität, die im Bild des Aufstiegs der Seele des toten Blake kulminiert. Keine schwerelose Himmelfahrt – da klettert tatsächlich ein nackter junger Mann die Sprossen der Wand des Gartenhäuschens empor. Der Film schließt mit einer Einstellung, die das Zeitungsbild vom toten Cobain exakt rekonstruiert, dann laufen die Title Credits über die Leinwand. Das Ende ist der Anfang. Van Sant hat seinen Neuanfang gewagt.

Last Days USA 05, R: Gus Van Sant, D: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, 97 Min. Filmpalette, ab 8.2.