Das Privileg, da zu sein
Die Nachricht kam plötzlich: »Der geplante Deutschlandbesuch des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk muss leider kurzfristig abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben werden«, teilte der Hanser-Verlag Ende Januar ohne Angabe von Gründen mit. Am 5. Februar hätte Pamuk sein neues Buch »Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt« im Kölner Schauspielhaus vorstellen sollen; die Veranstaltung war bereits seit Tagen ausverkauft.
Statt seiner Lesung gab’s nun wilde Spekulationen über sein Fernbleiben. »Pamuk streicht Lesetour wegen Drohungen«, betitelte der Kölner Stadt-Anzeiger seinen Aufmacher; »offenbar« sehe sich der Schriftsteller durch türkische Nationalisten »konkret gefährdet«. Politiker schlossen sich an, forderten mehr Schutz für Pamuk und die Meinungsfreiheit in der Türkei, und diskutierten wieder einmal die Eignung des Landes für die EU. Was für den anwesenden Orhan Pamuk gilt – nämlich, dass er als Kristallisationspunkt für Diskussionen, Vorwürfe und Thesen verschiedenster Herkunft dient –, das gilt anscheinend für den abwesenden Pamuk erst recht.
Türkei, Deutschland, USA
Der Gedanke an eine Bedrohung Pamuks klingt zunächst ja auch einleuchtend. Wenige Tage vor der Absage hatte ein mutmaßlicher Hintermann des Mordes an dem türkisch-armenischen Jounalisten Hrant Dink gesagt: »Orhan Pamuk soll aufpassen.« Nationalisten greifen den Schriftsteller immer wieder wegen seiner kritischen Haltung zur türkischen Geschichte an.
Nur: Wieso sollte Pamuk ausgerechnet in Köln und den anderen Stationen seines Deutschlandbesuchs in Gefahr sein – mehr als in der Türkei oder in den USA, wohin er inzwischen gereist ist? »In den deutschen Medien stand die Bedrohung sehr im Vordergrund«, sagt Ceyhun Kara, Mitarbeiter der türkischen Redaktion des Kölner WDR-Radios Funkhaus Europa. »In der türkischen Community wurde die Absage differenzierter betrachtet«. Sie sei zum Teil auch als »Zeichen« verstanden worden, das Pamuk gesetzt habe, obwohl er sich zurzeit nicht an den politischen Debatten beteilige. Viele Migranten türkischer Herkunft in Köln seien stolz auf Pamuk. Doch die pauschalen Diskussionen seien auch mühsam, sagt Kara: »Dann heißt es zum Beipiel auf der Arbeit immer wieder: Was ist da bei euch eigentlich los in der Türkei?«
Keine Lust auf undifferenzierte Kritik?
Ein Musterbeispiel verallgemeinernder Rundumkritik lieferte der Kölner Publizist Ralph Giordano, ebenfalls im Kölner Stadt-Anzeiger, anlässlich der Pamuk-Absage: »Die Muslime in Deutschland müssen nun glaubwürdig und nachhaltig dokumentieren, dass ihnen Freiheit und Menschenwürde am Herzen liegen.« Welche Verantwortung deutsche Moslems ausgerechnet für eine angebliche Bedrohung durch türkische Nationalisten haben sollen, bleibt bei Giordanos Worten offen.
Vielleicht hat Pamuk seinen Deutschlandbesuch ja deshalb abgesagt: Weil er keine Lust hatte, sich kurz nach dem Mord an seinem Freund Hrant Dink instrumentalisieren zu lassen für alle möglichen Diskussionen von EU-Beitritt bis Islamismus. Die Debatten hat er damit nicht verhindern können – im Gegenteil. Vielleicht aber nähert er sich so einem Ziel, das er 2005 in einem Interview mit der Zeit so formulierte: »Ich möchte nicht zu einem Teil der verbissenen politischen Kultur werden, die ich selber so oft kritisiere. Ich möchte durch meine Literatur das Gespür dafür wecken, welch ein Privileg es ist, einfach da zu sein.«