»Elle«

Der Katze scheint es egal zu sein, dass ihre Versorgerin (Katzen haben keine Eigentümer) gerade zuhause von einem Maskierten vergewaltigt wird. Sie dreht sich gelangweilt weg. Auch Michèle, das Opfer, scheint von den Ereignissen nur mittelmäßig beeindruckt. Zur Polizei geht sie nicht, ihren Freunden erzählt sie nur kurz von dem Vorfall und wird etwas unwirsch, als man sie zu bemitleiden beginnt. Als der Maskierte erneut auftaucht, beginnt Michèle, sich auf die Suche nach ihm zu machen.

 

Jedem anderen Regisseur als Paul Verhoeven (»Basic Instinct«), mit Ausnahme vielleicht von David Cronenberg, wäre »Elle« zu einem Moraltraktat entglitten. Mit den Massen an Abgründen und Perversionen, die sich hier auftun, können die allerwenigsten auf eine Weise umgehen, die produktiv zum Denken und Fühlen verführt. »Elle«, eine Adaption von Philippe Djians Roman »Oh ...« (2012), ist nicht für ein Publikum, das nach einem Billig-Thrill zwecks moralischer Kurzaufregung sucht. Michèles scheinbar wachsende Freude daran, endlich mal loslassen zu können, auch mal Opfer sein zu dürfen, ist nur der Ausgangspunkt für eine Reise in die Abgründe der Bourgeoisie Frankreichs. Sie ist zum Beispiel die Tochter eines Massenmörders, bumst seit Monaten mit dem Gatten ihrer besten Freundin und leitet eine erfolgreiche Firma für gewaltfreudige Computerspiele, deren Mitarbeiter sie so sehr hassen wie begehren.

 

Was Verhoeven vor allen Dingen amüsiert, ist die Welt, so wie er sie schon seit Anbeginn seines Schaffens sieht: als von Grund auf verkommen, schuldig, sündig, der Mensch lustgesteuert, ein Triebwesen, welches es geschafft hat, sich eine gigantische Entschuldigung für sein So-sein zu schaffen, die er Kultur nennt. Verhoeven liebt den Menschen in Exstase und Ausnahmesituationen, weil sie ihn seinen Grenzen sowie seinem Willen zur Entgrenzung näherbringen. Moral interessiert ihn nicht, beziehungsweise fasziniert ihn als lächerlicher Versuch, sich das Gute schlecht- und das Böse schönzureden. Für ihn gibt es Gut und Böse, und jede Sekunde des Lebens muss man sich für das eine oder andere entscheiden. Aber es braucht eine gewisse Heiterkeit und Gelassenheit, um damit durch das Leben zu kommen.

 

Elle (dto) F/D/B 2016, R: Paul Verhoeven, D: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, 130 Min. Start: 16.2.