Die Opfer der Wohlhabenden

Die Sleaford Mods sind wieder da — oder waren nie weg: Mehr Arbeiterklasse-Postpunk geht derzeit nicht

»Kauf eine Firma, wirtschafte sie runter, nimm das Kapitel, zieh die Arbeiter ab — es ist legal.« Was wie gewerkschaftliche Betrachtungen zum Status Quo einer Ökonomie zwischen VW- und Deutscher-Bank-Skandalen klingt, stammt von Jason Williamson, dem Rapper der Sleaford Mods. Gemeinsam mit Andrew Fearn hat der Mittvierziger in den letzten drei Jahren eine verspätete Blitzkarriere hingelegt und mit den auf Harbinger Sound veröffentlichten Alben »Austerity Dogs«, »Divide and Exit« und »Key Markets« den links-popistischen Soundtrack der britischen Arbeiterklasse eingespielt. Zu verdanken haben sie diese verblüffende Karriere nicht nur ihrem ultimativ verdichteten Working-Class-Postpunk, sondern auch Liveshows, die ihren Charme aus ihrer Lakonie beziehen. So drückt Andrew Ferarn bei jedem Song für jeden gut sichtbar lediglich den Play-Button, um danach genüsslich eine Bierdose nach der nächsten zu leeren und stoisch seinem Partner beim Vortrag der Stücke zuzuschauen. Iggy Pop war davon derart hingerissen, dass er von der »ohne Zweifel, absolut und definitiv besten Rock’n’Roll Band der Welt« schwärmte.

 

Wobei — die Sleaford Mods benötigen solche Lobeshymnen nicht wirklich, schließlich schreiben sie ihre eigenen in Form von Songs wie »BHS«. BHS steht für die Kaufhauskette British Home Stores, die unter der Führung von Sir Philip Green, dem Vorstandsvorsitzendem der Arcadia Gruppe, der unter anderem auch die britische Topshop-Kette gehört, bei der Millionen von Teenagern weltweit ihre Klamotten einkaufen, im Sommer 2016 zugrunde gewirtschaftet wurde. Dabei verloren nicht nur 11.000 Angestellte ihren Job, es wurde zudem noch die Altersvorsorge aktueller und ehemaliger Mitarbeiter in Höhe von 571 Millionen Pfund verbrannt — oder, genauer gesagt, in eine 400 Millionen Pfund Dividende für Green umgewandelt. Davon kaufte er sich eine schicke Yacht. »Es war mir wichtig darüber zu sprechen, was mit der Firma passiert ist, nachdem Sir Philip Green sie gekauft hat«, merkt Williamson im Interview sichtlich betroffen an. »Er gab ein Fernsehinterview, von dem ich Gänsehaut bekommen habe. Diese Arroganz, diese Weigerung, die Wahrheit auszusprechen — also den Fakt zuzugeben, dass er die Firma nur gekauft hat, um mit ihr Profit zu machen und nicht in sie zu investieren, erschien es mir Wert, einen Song darüber zu schreiben. Diese Moral ist heute gang und gäbe. BHS ist nur eine solche Geschichte, aber eine sehr symbolische für unsere Gesellschaft und die Abhängigkeit der Arbeiter und Angestellten von Menschen wie Philip Green. Sie werden zu Opfern der wohlhabenden Leute.«

 

Zum Interview ist Williamson alleine nach Berlin angereist. Es wäre für Andrew Fearn wenig sinnvoll, da die Journalisten eh immer nur ihm Fragen stellen würden, erläutert er dessen Abwesenheit. Sie seien ein gut eingespieltes Team, bei dem jeder wisse, wo sein Terrain liegt. »Ich kümmere mich um die Texte und er um die Musik«, erklärt Williamson mit der ihm eigenen Lakonie. »Ich habe mit der Zeit gelernt, dass meine eigenen Ideen von Musik nicht so großartig sind.«

 

Die von Fearn produzierten Songs basieren auf minimalistisch strukturierten HipHop-Rhythmen und einer klaren Hookline, sie haben einen hohen Wiedererkennungswert und bieten die ideale Plattform für Williamsons bissige Texte. Auch wenn man es angesichts ihrer konzentrierten Wortgewalt kaum glauben kann, entstehen diese von Dringlichkeit angetriebenen Monologe doch zumeist im ersten Take, wie er betont. »Wir machen das seit Jahren, da wird man einfach gut. Ich will hier nicht arrogant klingen, aber es ist kein Problem. Bei eher songhaften Stücken brauche ich manchmal zwei oder drei Takes, da sich die Textzeilen schwieriger der Melodie anpassen lassen.«

 

»Die Essenz der Verhältnisse spricht zu mir«, kommentiert Williamson was seine Aufmerksamkeit weckt. »Korruption und Gier. Es gilt diese in ihrer reinen Form in die Songs einzubringen. Dazu muss man Bilder kreieren, die dem Wesen des Kapitalismus gerecht werden, Bilder der sozialen Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Prekarität. Man kann das in einem Satz zusammenfassen: We are all going down like BHS! Die Leute mit dem Geld drängen uns in die Ecke.«

 

War Williamsons Perspektive auf den Alben »Divide and Exit« und »Key Markets« noch von seiner Arbeit als Sozialarbeiter geprägt, so hat er für das kommende Album »English Tapas« die Perspektive gewechselt — im wörtlichen Sinne. »Seit zwei Jahren arbeite ich in dem Job seit nicht mehr — was mich beunruhigt. Vielleicht lebe ich als hauptberuflicher Musiker nicht mehr im steten Bewusstsein der Verhältnisse auf der Straße? Ich lebe jetzt in einer Scheinwelt, nicht wahr? Noch bin ich zufrieden, aber man muss dieses dünne Eis sehr genau beobachten und hinterfragen, ob man nicht plötzlich Slogans ihrer Sloganhaftigkeit wegen benutzt und politische Aussagen nur tätigt, weil sie gut klingen. Man muss sicherstellen, dass das, was man macht, immer mit der eigenen Welt verbunden ist. Man darf die Musik nicht vernachlässigen, die Hörer merken das.«

 

Eine letzte Frage noch: Was sollen denn bitte diese »English Tapas« sein, die dem Album den Titel gegeben haben? »Andrew hat in einem Pub eine Speisekarte entdeckt, auf der English Tapas angepriesen wurden«, führt Jason Williamson aus. »Damit waren Chips, ein schottisches Ei und eingelegte Zwiebeln gemeint. Wir haben uns tot gelacht. Die Leute denken echt, sie kommen damit durch. Das ist so britisch! Wir nehmen uns wunderbare Dinge aus anderen Kulturen und machen sie kaputt. Der perfekte Albumtitel.«

 

Tonträger: Sleaford Mods, »English Tapas« (Rough Trade /Beggars Group/Indigo)