Die Macht und ihr Preis

Mit »Silence« hat Martin Scorsese endlich ein Herzensprojekt verwirklicht

Portugal, 1937. Seit langer Zeit haben die Jesuiten in Rom nichts mehr gehört von Pater Ferreira, ihrem letzten Vertreter in Japan, wo seit vielen Jahren Christen verfolgt werden. Allein Gerüchte machen die Runde: Ferreira sei ein Apostat, unter der Folter zerbrochen. Er habe sich am Bild der Heiligen vergangen, wie es die Herrschenden verlangen: es also mit Füßen getreten. Zwei Schüler Ferreiras, die Pater Sebastião Rodrigues und Francisco Garupe, machen sich auf die Reise ans andere Ende der Welt, um zu retten, was noch zu retten ist von der jesuitischen Mission.

 

Seit rund einem Vierteljahrhundert hat Martin Scorsese davon gesprochen, Shūsaku Endōs Roman »Schweigen« (1966) für das Kino zu adaptieren. Jetzt endlich kommt der Film — was die bisherige Rezeption von »Silence« stark beeinflusst hat. Denn er wird ständig auf seine Ewigkeitswerte hin abgeklopft, eher abstrakt gelesen als eine vornehmlich spirituelle Exerzitie ähnlich Scorseses Die letzte Versuchung Christi« (1988) und Kundun« (1997). »Silence« hat auch allerhand gemein vor allem mit letzterem Film. Beide drehen sich letztlich um dieselbe Frage: Warum müssen Unschuldige sterben, damit der Dalai Lama oder ein Missionar leben und wirken kann?

 

Doch der Stoff besitzt auch eine aktuelle Dimension. Sowohl Endōs Roman als auch Shinoda Masahiros erste filmische Adaption aus dem Jahr 1971 hatten eine politische Ebene: Es ging darum — in aller gebotenen Doppeldeutigkeit und Ironie —, inwieweit öffentliche Abkehr von einem Glauben einhergeht mit einer wirklichen Sinneswandlung. Japan erlebte ab Mitte August 1945 en masse die Abkehr von Kriegsverbrechern und –gewinnern von ihren ehemaligen Überzeugungen. Menschen, die einige Jahre später wieder die Landesgeschicke mitbestimmten. 1966, als Endōs Roman erschien, galt es aber auch, den Glauben an die Demokratie und ein unabhängiges, waffenloses Japan nicht zu verlieren. 1960 wurde der von weiten Teilen der Bevölkerung verhasste Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit mit den Vereinigten Staaten ratifiziert, der 1970, nach noch heftigerem Widerstand, erneuert wurde. Die Folge: ein Verlust des Glaubens an die Politik und für viele Aktivisten der Rückzug ins Private — was Shinoda in seinem Film brutal, fast zynisch zum Ausdruck brachte.

 

Warum also jetzt Silence? Vielleicht, weil der Film nicht nur eine Lektion in Demut ist, sondern eine ziemlich beißende Parabel über die Macht und ihren Preis, und darüber, was mit extrem Sendungsbewussten passiert, wenn sie in fremde Länder einmarschieren und überhaupt nicht merken, dass sie ein politisches Gleichgewicht stören.

 

Silence (dto) USA 2016, R: Martin Scorsese, D: Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson, 161 Min. Start: 2.3.