Nähe en passant

In »Certain Women« skizziert Kelly Reichardt drei Frauenleben in Montana

 

Die Landschaft zu Beginn sieht aus wie gemalt. Ein Güterzug donnert hindurch und verschwindet ins Nichts. Kelly Reichardts Film zieht ebenso beharrlich vorbei, erzählt episodisch von Begebenheiten im Dasein verschiedener Frauen, eher Vignetten als Exempel. Eine Anwältin, deren selbstmitleidiger Klient lieber umsorgt, als von einer Frau kompetent beraten wird. Die Mutter einer widerborstigen Tochter im Teenageralter, deren Eheprobleme den Traum vom Hausbau torpedieren. Eine isoliert lebende Rancherin, die sich verliebt, ohne auf die Erwiderung ihrer Gefühle hoffen zu dürfen. Nach dem für Kelly Reichardt ungewöhnlich handlungsgetriebenen Ökothriller »Night Moves« ist diese Interpretation dreier Kurzgeschichten von Maile Meloy eine Rückkehr zur Beobachtung en passant, die Weite Montanas weichgezeichnet durch das diffuse Licht und das 16mm-Material von Kameramann Chistopher Blauvelt. Schon der Titel ist symptomatisch zu verstehen: Keine konkreten Individuen werden bezeichnet, aber doch wird Bestimmtheit suggeriert. Nicht irgendwelche Frauen sind zu sehen, sondern »gewisse«.

 

Die drei jeweils halbstündigen Episoden werden in »Certain Women« ohne viel Aufhebens miteinander verbunden. Reichardt verzichtet auf Kapitelüberschriften, weil es auch simple Schnitte tun. Beiläufig nimmt man Notiz von wenigen Berührungspunkten der Segmente, den Scharnieren des Triptychons gewissermaßen. Es gibt keinen Anspruch an eine abgeschlossene Erzählung, auch wenn sich in einer etwa 15-minütigen Schlusssequenz alles noch einmal abrundet. Zuvor findet Rei-chardt für jede ihrer Figuren eine eigene, unaufdringliche Bildsprache. Laura Dern bewegt sich durch wenig einladende Räume, permanent ist sie von vergilbten Wänden umgeben, eine Frau, die agieren will und dabei schnell an Grenzen stößt. Michelle Williams kommt vor Fensterscheiben zum Stehen, die ihr die Szenerie spiegeln, in der sie ihre Utopie verortet. »I’m just fine, I’m just fine«, imitiert sie schrill den Singsang eines Vogels, dann tröpfelt das Lächeln ihr vom Gesicht. In der letzten Episode gewinnen die Bilder an Detailreichtum, die Kamera an Mobilität — Lily Gladstone und Kristen Stewart spielen junge Frauen, für die lange Wege statt Bewegungsfreiheit eher ein Hindernis bedeuten. Ein Film, der ihre Geschichten bis ins Detail auserzählen würde, käme ihnen wohl kaum näher.

 


Certain Women (dto) USA 2016, R: Kelly Reichardt, D: Laura Dern, Kristen -Stewart, Michelle Williams, 107 Min. Start: 2.3.