Eine Art Heimatkunde

Der Starschauspieler Martin Wuttke inszeniert am

Schauspiel Köln Texte von Rolf Dieter Brinkmann

Martin Wuttke arbeitet zur Zeit hauptsächlich in Berlin und Wien. Doch dazwischen bringt er Ende März in der Schlosserei Brinkmanns nachgelassene voluminöse Textsammlung »Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand« auf die Bühne. Wuttke wurde 1962 in Gelsenkirchen geboren und hatte in Frankfurt/M. sein erstes Engagement. Nachdem er 1985 bei »Hamlet« in die Titelrolle einsprang, ging es steil bergauf. Der Schauspieler arbeitete national und international mit den bedeutendsten Regisseuren, u.a. mit Kurt Hüb­ner, Niels-Peter Rudolph, Heiner Müller, dann intensiv mit Einar Schleef und Frank Castorf. 1995 und 2003 war er Schauspieler des Jahres. Seit 1996 inszeniert Wuttke selbst, zuletzt 2006 ein Nietzsche-Projekt mit dem Künst­ler Jonathan Meese auf Schloss Neuhardenberg in Brandenburg.


StadtRevue: Herr Wuttke, worin besteht ihr persönliches Interesse an Brinkmann und seinem Werk?

Martin Wuttke: Brinkmann hat eine Art Polaroid von der Zeit gemacht, in der ich groß geworden bin. Ich bin in Bochum aufgewachsen, und wenn man jetzt hier in Köln aus dem Fenster guckt, kann man immer noch diese typi­sche westdeutsche Trostlosigkeit sehen, die sich seitdem kaum verändert hat. Er beschreibt auch das politisch-geistige Klima dieser Zeit. Das ist für mich mehr oder weniger eine Heimatkundeveranstaltung und eine Zeitreise.

Das klingt überraschend. Wo bleibt die Gegenwart?

Ich will nicht verschweigen, dass der Text 1971 entstanden ist. Brink­manns spezielle Erfahrungen und Beobachtungen aus dieser Zeit spielen die zentrale Rolle. Man kann sie natürlich abgleichen mit den speziellen Erfahrungen von heute und entscheiden, wie es um das eigene »Gefühl für einen Aufstand« steht. Seine Filmschnitt-, Montage- und Collagetechniken ermöglichen es, vorwärts und rückwärts zu springen.

Wie kam es denn zur Auswahl gerade dieses Brinkmann-Textes?

Ich habe nach Texten gesucht, die einerseits viel mit Brinkmanns Erfahrung mit der Stadt Köln zu tun haben und die gleichzeitig bestimmte Kernthemen betreffen, mit denen er sich immer wieder beschäftigt.

Welche Kernthemen sind das aus ­Ihrer Sicht?

Brinkmann findet sich in einer Art Vorrichtung gefangen, die seine ei­gene persönliche Erfahrung nicht zulässt. Wenn er schreibt, dann findet er sich in der Vorrichtung Literatur gefangen. Die gibt ihm vor, wie geschrieben wird und was Literatur sei. Gegen diese Fremdsteuerung wehrt er sich. Gegen die vorgeschriebenen Themen, die als wertvoll erachtet und einem ein­gepflanzt werden, wie ein Gift, die aber das Differenzierte, die spezielle Erfahrung immer ausgrenzen. Das, was einen wirklich umgibt, das tägliche Leben, das einen berührt, wird von verschiedensten Abrichtungen, häufig auch von der Kunst, beiseite geschoben. Dagegen kämpfte er besessen an.

Ist diese Gegenwehr etwas Politi­sches?

Ja, natürlich ist das ein politisches Projekt.

Brinkmann neigte, das zeigt auch der Titel des Buches, zum subjektiven Widerstand. Mit der Studentenbewe­gung und ihrem gesellschaftspoliti­schen Protest kam er nie zusammen.

Die Studentenbewegung hat ihn sehr befremdet. Der »Aufstand« im Titel der »Erkundungen« ist sein persönlicher, individueller Aufstand. Die Befreiung der Studentenrevolte ist für ihn dummes Gequatsche. Sie versinkt im Diskurs, der immer nur über sich ­selber redet. Für Brinkmann gibt es kein erkennbares gesellschaftliches Projekt. Er sieht das Leben von den alltäglichen Handlungen aus. Und er findet seine Genera­tion ebenso in Vorrichtungen gefangen wie die Generation der Väter. Der Krieg und die Repression gehen für ihn weiter, nur die Vorzeichen haben sich geändert. In Brinkmanns Hass und Verachtung steckt allerdings auch noch etwas anderes. So ein: »Da gab’s doch mal was, da muss doch was gewesen sein, etwas hinter all dem Gequatsche«.

Das klingt nach einer sehr romantischen Vorstellung.Das verkürzt die Sache natürlich. Aber, ja, sein Werk hat sicher einen romantischen Aspekt.
Was ist für Sie das Theatralische an Brinkmanns Werk? Es sind ja Texthalden, Bilder, Montagen, niemals durchgängige Dialoge oder gar Figuren.


Ich denke mir, dass Brinkmann ein großes Misstrauen gegenüber dem Theater hatte, weil es auch so eine Art Vorrichtung darstellt. Dieses Misstrauen teile ich. Es war für mich in gewisser Weise immer der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Seine Texte erscheinen mir vielleicht deshalb so geeignet, die konventionellen Narrationen beiseite zu rücken, mit ihren tradi­tionellen Dialogführungen, diesem ganzen Figurenquatsch und dem damit verbundenen Klassiker-Sport. Brinkmanns eigenwillige In­terpunktion – die grafischen Struk­turierungselemente,Unterstrei­chungen – markieren einen bestimmten Sprechgestus. Sie lassen sich wie Notationen lesen. Da liegt die Schnittstelle zum Theater.

Haftet Brinkmanns Literatur nicht etwas Monomanisches an? Auch die »Erkundungen« dokumentieren die­ses Wüten eines Einzelnen. Wie ­wollen Sie so einen Text auf die Bühne bringen?

Es wird sicher eher eine »Flickerschau« werden, wie er das nennt, die im Idealfall sehr viel von Brinkmanns Horizont erkennen lässt. Von seinem Spiel und Spott und unseren Unmöglichkeiten mit dieser »besten aller möglichen Wel­ten« umzugehen. Die monomanische Stimme, von der Sie sprechen, ist ein Vorurteil. Brinkmann spricht in Zungen, aus verschiedenen Standpunkten und Per­spektiven. Ich folge also einer Tech­nik, die er selber benutzt hat.
Interview: Michael Eggers, Alexander Haas

»Brinkmann: Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand« (UA) von Rolf Dieter Brinkmann,
R: Martin Wuttke, Schlosserei, 25. (P), 30.3., 20 Uhr. Weitere Termine im April.