Vorbild Kino

In Die andere Seite der Hoffnung begegnet Aki Kaurismäki der Flüchtlingskrise auf seine -verschrobene Art

Da stehen sich der Flüchtling und der Restaurantbesitzer nun gegenüber, und die beiden Geschichten, die bislang getrennt voneinander erzählt wurden, haben endlich zueinander gefunden. »Das ist meine Müllablage«, sagt Wikström, der frisch in seinem neuen Leben als Unternehmer angekommen ist. »Das ist mein Bett«, sagt Khaled, der nach Ablehnung seines Asylantrags untergetauchte Syrer. Dann haut der eine dem anderen jeweils einmal voll auf die Nase. Einen Schnitt später sitzen beide gemeinsam an einem Tisch, mit einem Taschentuch in ein Nasenloch geknüllt und mit einem Glas Schnaps vor sich. Und Wikström bietet Khaled einen Job an.

 

Was dem einen sein Müllplatz ist, ist dem anderen sein Bett. Der Konflikt ist ein Konflikt, aber ein lösbarer. Mit der ihm eigenen Nonchalance bricht der finnische Altmeister Aki Kaurismäki sein Thema auf diese schlichte Einsicht herunter, so wie er seine filmische Welt auf schlichte farbige Flächen reduziert. »Die andere Seite der Hoffnung« ist politisch aktuell, lässt Khaled in einer langen Einstellung ausführlich seine Fluchtgeschichte erzählen und bezieht sogar Nachrichtenbilder aus Aleppo mit ein. Zugleich aber könnte dieser Film kaum weiter entfernt sein von den üblichen Mechanismen des politischen Arthouse-Kinos, das »realistische« Flücht-lings-schicksale gern mal für die eigenen Betroffenheitsgesten ins-trumentalisiert. Und ebenso wenig hat er zu tun mit den momentan beliebten Culture-Clash-Komödien, die kulturelle Differenzen in Diversity-Kitsch auflösen oder für moralische Läuterungen sturköpfiger Europäer ausschlachten.

 

Kaurismäki bringt die sogenannte Flüchtlingskrise lieber erst mal in seinem eigenen verschrobenen Universum unter — gegen alle Widerstände. So bemerkt ein Mit-arbeiter Wikströms bei der Suche nach einem neuen Schlafplatz für den illegal Angestellten: »In den Kühlraum passt er nicht — auch nicht schräg.« Aber Kaurismäkis Form der Integration lässt sich von solchen Hindernissen nicht beeindrucken. Da es dem Finnen nicht um Authentizität geht, muss er nicht eine Realität fiktionalisieren — mit der Gefahr formelhaft zu werden —, sondern kann umso wahrhaftiger seine Fiktion realisieren. Als Khaled aus dem Flüchtlingsheim flieht, hilft ihm eine Angestellte mit der gleichen Selbstverständlichkeit, die später jener Fernfahrer an den Tag legt, der Khaleds Schwester nach Finnland schmuggelt. Kaurismäki passt die Bewohner seines lakonischen Kinos aktuellen politischen Erfordernissen an. Das Kino muss nicht predigen, es kann auch einfach Vorbild sein.

 

Die andere Seite der Hoffnung 

(Toivon tuolla puolen) FIN 2017,
R: Aki Kaurismäki, D: Sherwan Haji, Sakari Kuos-manen, Simon Al-Bazoon,
98 Min. Start: 30.3.