#Kinnhaken

In Tiger Girl feiert Jakob Lass den Rausch der Grenzüberschreitung

Mit ihren zum Teil improvisierten Filmen gelten die Brüder Jakob und Tom Lass als Hoffnungsträger eines neuen, anarchischen, ästhetisch lässigen deutschen Kinos. Sehr offensichtlich haben sie einen Narren gefressen an toughen Frauen, die den Überschwang zelebrieren: In Tom Lass’ »Käpt’n Oskar« fackelt die Ex der Hauptfigur mal eben dessen Bude ab, in Jakob Lass’ 2013 zurecht als Indie-Sensation gefeiertem »Love Steaks« erlöste ein wildes Mädchen einen Jungen von seiner verklemmten Töpelhaftigkeit.

 

Und jetzt kommt Jakob Lass’ »Tiger Girl«, in dem es erneut darum geht, Kontrolle abzustreifen, neues Terrain zu betreten und sich dem Moment hinzugeben. Neu ist allerdings, wie konkret diese Enthemmung hier verhandelt wird. Da ist zum einen »Vanilla«, die bei der Ausbildung zur Polizistin an ihrer Unsportlichkeit scheitert und daher bei einem Security-Unternehmen anfängt. Ihr Verhalten ist sehr unsicher, der »Security«-Schriftzug auf dem Rücken ihrer Uniform wirkt beinahe wie ein Hilferuf. Und dann ist da »Tiger«, ein punkiges Mädchen, das sich mit Vanilla anfreundet: Mit zwei Jungs lebt sie illegal unter einem Dachgiebel, im Alltag ist sie rotzig frech und lässt gerne mal die Fäuste reden — #Kinnhaken statt #Aufschrei.

 

Gemeinsam erkunden die beiden die Möglichkeiten zum Grenzübertritt, die Vanillas Uniform bietet. Doch die Konstellation verkehrt sich zusehends in ihr Gegenteil: Bald ist Vanilla die derbste Asi-Kiezbitch, die es munter eskalieren lässt, während Tiger mit ihren Mäßigungsappellen das Nachsehen hat. So wie Tiger die Kontrolle über Vanilla verliert, verliert gewissermaßen auch Lass die Kontrolle über sein Industriedebüt: Sichtlich Spaß hat er daran, wuchtig-grelle Punk-Images zu inszenieren. Aber so recht weiß der Film nicht, wohin mit dieser Energie, die angesichts des Skandals um den Berliner U-Bahn-Treter zudem irritiert. Vielleicht auch deswegen flüchtet sich Lass in ein offenes Ende: »Tiger Girl« feiert zwar den Rausch der Grenzüberschreitung, bleibt abseits davon aber rat- und haltungslos.

 

Am besten ist der Film, wenn Lass sich auf seine Stärken besinnt: improvisierte Miniaturen, in denen erfrischend ungeprägte Schauspieler frei nach Schnauze reagieren. Nach »Love Steaks« ist »Tiger Girl« allerdings trotz gelungener Momente eine kleine Enttäuschung. Doch wohin es die Lass-Brüder weiterhin verschlägt, dem darf man mit Spannung entgegensehen.

 

Tiger Girl. D 2017, R: Jakob Lass,
D: Ella Rumpf, Maria Dragus,
Enno Trebs, 91 Min. Start: 9.4.