Hippes Pflaster, durchschnittlich verlottert

Zwei neue Hefte zum Mythos Köln

Der Mythos, schrieb der Philosoph Roland Barthes, ist eine Aussage. Zum Beispiel: Köln ist ein Gefühl. Bloß: Was für ein Gefühl? Allein die Stichworte Kunsthallenabriss, Archiveinsturz und Silvesternacht genügen, um über die Stadtgrenzen hinaus für schlechte Gefühle zu sorgen. Köln wurde zur düsteren »Chiffre«, die Formulierung »Nach Köln« machte den Jahreswechsel 2015/16 angeblich zur Epochenwende. Ein Jahr später geriet die Stadt mit »Racial Profiling« erneut in die Schlagzeilen.

 

Vor diesem Horizont versuchen zwei aktuelle Zeitschriftenausgaben, die Stadt neu zu beleuchten. So widmet sich »Issue No. 3« des kunstaffinen QVEST-Metropolen-Guides der Domstadt. Das elegante Cover verspricht Einblicke in »Cologne’s most kept secrets«. Geheimnisse, in einer so überschaubaren Stadt? Wer hier lebt, erfährt in vielen Interviews vor allem Bekanntes von Bekannten wie der Oberbürgermeisterin Henriette Reker, dem Art-Cologne-Chef Daniel Hug, dem »Köln-Psychologen« Stephan Grünewald oder dem als »Stadtkünstler« vorgestellten Merlin Bauer. Neue Fotografien von Albrecht Fuchs, Petra Fischer oder Anton Gottlob suggerieren zusammen mit historischen Aufnahmen das Bild eines ungeschönten, aber hippen Pflasters.

 

Zur Gattung Reiseführer bemerkte Barthes treffend, dass verschiedene Redaktionen völlig unterschiedliche Länder hervorbringen. Die Gleichung funktioniert selbstverständlich auch für Stadtporträts, je unterschiedlicher die Produzenten, umso besser. Seit 67 Jahren veröffentlicht die Bundeszentrale für politische Bildung die Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte, die sie der Bevölkerung gratis zur Verfügung stellt: 48 dicht bedruckte Seiten Zeitungspaper, keine Bilder. Verschwendung von Steuergeldern sieht anders aus. Das neue Köln-Heft, dessen Veröffentlichung in der Akademie der Künste der Welt stattfand, versammelt so unterschiedliche Autoren wie den Kabarettisten Jürgen Becker, den Leiter des NS-DOK Werner Jung oder Stadtrevue-Redakteur Christian Werthschulte. Sie brechen den selbstverliebten Mythos vom weltoffenen, lokalpatriotischen Köln herunter auf die Geschichte einer »ganz normalen Stadt«.

 

Aber sind nicht Krisen der Moment, um sich neu zu erfinden? 1975, als New York in Gewalt und Kriminalität zu versinken drohte (auch so ein Mythos), entstand das Logo »I love New York«, an dem der Staat NY seitdem jährlich dreißig Millionen Dollar verdient. Und Köln? Merlin Bauer konzipierte 2015 zum zehnjährigen Jubiläum seines Projekts »Liebe deine Stadt« drei Fotos mit den Titeln »Trost«, »Hoffnung« und »Frust«. Der stirbt bekanntlich zuletzt. 

 

»Qvest Metropolen Issue No. 3 — Köln«, Köln 2017, 240 S., 12,90 Euro

 

Aus Politik und Zeitgeschichte: Köln, hrsg: Bundeszentrale für politische
Bildung, Bonn 2017, 48 S., kostenlos