Foto: Arne Jysch, Der nasse Fisch, Carlsen Verlag, Hamburg 2017

»Die 20er Jahre sind auch mit einer Zeitmaschine nicht vorstellbar«

Kriminalkommissar Gereon Rath wird 1929 nach einem tödlichen Schuss aus seiner Dienstwaffe von Köln nach Berlin versetzt. Inmitten der politischen Spannungen der Weimarer Republik löst er dort Mordfälle. Sechs historische Krimis mit Gereon Rath hat der Kölner Autor Volker Kutscher veröffentlicht.

»Der Nasse Fisch«, das erste Buch der Reihe ist gerade als Comic erschienen. Jonas Engelmann hat bei Volker Kutscher und Zeichner Arne Jysch nachgefragt, wie man die 20er Jahre lebendig werden lässt.

»Der nasse Fisch« fängt das Ende der Goldenen Zwanziger ein. Was hat Sie beide an dieser Epoche gereizt?

 

Volker Kutscher: Ich mag diese Welt einfach. Sie hat mich schon seit meiner allerersten Kästner-Lektüre fasziniert — und damit meine ich den »Emil« und »Pünktchen und Anton«, noch nicht den »Fabian«. Umso tragischer ist ihr Ende. Die Weimarer Demokratie war ein politisches Experiment, dem ein besseres Gelingen zu gönnen gewesen wäre.

 

Arne Jysch: Das ist und bleibt eine der aufregendsten Zeiten in der deutschen Geschichte, gerade weil wir heute wissen, dass sie später ein furchtbares Ende nahm. Es sind nicht nur die »Roaring Twenties«, sondern speziell in Deutschland blühte kurz eine politischen Utopie auf, ein Experiment, das dann doch zu wenig Unterstützung in der breiten Bevölkerung fand. Im Kern des Comics sollte aber eigentlich gar nicht das Politische stehen, sondern die Atmosphäre. Die Männer trugen fast immer den Dreiteiler mit Hut, es wurde leidenschaftlich geraucht, getrunken und der Umgang war steifer, aber auch eleganter. Das Auto, der Film und das Tempo, das Vergnügen an Sport, Kunst und Kultur waren noch jung und sehr aufregend. Selbst mit einer Zeitmaschine würde es schwer fallen, sich in das Lebensgefühl eines Großstädters der 20er Jahre hineinzuversetzen. Aber der Versuch macht Spaß. 

 

Ein wichtiges Thema der Handlung ist der aufziehende Nationalsozialismus und die Frage, wie man sich dazu verhält. Gereon Rath muss in »Der nasse Fisch« zwar noch nicht endgültig entscheiden, wie er sich positioniert, aber in den Nachfolgeromanen spitzt sich die Lage immer weiter zu. Was hat Sie daran gereizt, einen Polizisten in diese Umbruchszeit zu werfen?

 

Kutscher: Mir geht es darum zu zeigen, wie solche immensen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, wie sie in den frühen 1930er Jahren in Deutschland stattgefunden haben, den Alltag der Zeitgenossen verändern und sie zwingen, darauf zu reagieren. Als Teil der Exekutive stellen sich einem Polizisten da natürlich noch ganz andere Fragen.

 

Die Zwanziger Jahre stehen auch künstlerisch für einen Aufbruch: Dada, Swing oder auch die Architektur des Bauhaus. Sind diese Strömungen in »Der nasse Fisch« eingeflossen, oder haben Sie sich auf die Krimi-Handlung konzentriert?

 

Kutscher: Man kann in solch einem Roman nicht alles unterbringen, was damals gerade Thema war, ohne ihn zu überfrachten. Ein Roman folgt seinen Figuren, und die Figu--ren in »Der nasse Fisch« sind nun einmal Kinder ihrer Zeit, insofern fließen die damaligen Zeitströmungen natürlich mit ein. Da aber zwanghaft mehr draufzupacken, nur um der Vollständigkeit willen, das würde nicht funktionieren. Das wäre jedenfalls kein Buch, das ich gerne lesen würde.

 

 

Jysch: Leider konnte ich viel zu wenig künstlerische Aspekte in die Krimihandlung unterbringen. Die Geschichte spielt eher unter Polizisten und in einer konservativen Gesellschaftsschicht an Orten wie Büros oder einem Güterbahnhof. Da spielen neue Strömungen in Kunst und Kultur keine große Rolle, auch wenn ich etwa gerne das Bauhaus irgendwo untergebracht hätte. Aber für die Zeichnungen habe ich mich natürlich von Illustrationen aus der Zeit inspirieren lassen. Da sind Jeanne Mammen, Heinrich Zille und viele andere eingeflossen.

 

Herr Jysch, Comicadaptionen von Romanen sind ein schwieriges Feld, jeder Leser hat sich die beschriebene Welt anders vorgestellt. Haben Sie daher im Comic die Nebenhandlung, dass der Protagonist Gereon Rath sich von seinem Vater zu emanzipieren versucht und doch immer von ihm abhängig bleibt, so deutlich herausgestellt? 

 

 

Jysch: Man muss bei einer Adaption wohl damit leben, dass sich viele Leser die Figuren anders vorgestellt haben. Für das Privileg, meine ganz persönliche Sicht auf die Welt um Gereon Rath visuell umsetzen zu können, bin ich sehr dankbar. Ich bin dabei vollkommen in meine Fantasiewelt eingetaucht und hoffe natürlich, dass die Leser des Comics den gleichen Spaß haben, sich darauf einzulassen. Gereon Raths Emanzipation von seinem Vater ist im Roman so angelegt und ich habe das gerne übernommen, weil es einen nachvollziehbaren emotionalen Antrieb für sein Handeln liefert. Man folgt Rath nicht nur bei der Lösung des Falls, sondern man fragt sich auch, ob er es schafft, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Es ist schon tragisch, weil ihm einerseits sein Vater im richtigen Moment hilft, andererseits würde er alles tun, um aus eigener Kraft die Karriereleiter emporzuklettern und aus dem Schatten seines Vaters zu treten. Das ist sein ewig wunder Punkt.

 

Wie sind Sie die Adaption angegangen?

 

Jysch: Ich musste stark kürzen, um die Geschichte auf eine für einen Comic machbaren Umfang zu bringen. Daher habe ich die Handlung des Romans auf einige entscheidende Schlüsselmomente reduziert, auf ein Plot-Skelett aus ein paar Lieblingsmomenten, die ich dann Schicht für Schicht mit meinen eigenen Recherchen und Vorlieben wieder angereichert habe. Volker hat aber auch einige Szenen geschrieben, die ich unbedingt genauso umsetzen wollte, dann habe ich mir immer die Anmerkung »eins zu eins« neben die Zeilen ins Buch gekritzelt. 

 

Herr Kutscher, Sehen Sie in der Ästhetik des Comics Ihre eigenen Vorstellungen während des Schreibens gespiegelt?

 

Kutscher: Natürlich hat Arne seine eigenen Bilder im Kopf, die er für den Comic zu Papier gebracht hat, aber ich bin immer wieder erstaunt, dass er manche Szenen fast genauso ins Bild gesetzt hat, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich bin sehr gespannt, wie es den Comiclesern geht, die den Roman bereits kennen.

 

Inwieweit sind Sie beim Zeichnen von der Vorlage abgewichen und haben eigene Akzente gesetzt? 

 

Jysch: Bei aller Begeisterung für den Roman hat mich gestört, dass Rath moralisch und körperlich zu glimpflich davonkommt. Ihm wird viel verziehen. Warum wird sein erstes »Todesopfer« von einem Querschläger aus seiner Dienstwaffe getroffen und nicht von ihm in Notwehr erschossen? Das ist nur ein Beispiel, wo ich dachte: Da hat er aber Glück gehabt. Im Comic lädt Rath mehr Schuld auf sich, muss dann allerdings auch mehr einstecken und ein paar Federn lassen. Außerdem habe ich die Rolle von Kriminalrat Gennat, den es ja wirklich gab, noch etwas ausgebaut. Ich habe mehrere Figuren aus dem Roman in ihm zusammengefasst und in einigen Szenen etwas mehr Informationen über diese Legende der Berliner Kriminalpolizei eingestreut. 

 

Zum Erscheinen von »Der nasse Fisch« gehen Sie beide auf Lesetour. Was passiert, wenn ein Autor und ein Comiczeichner gemeinsam auf der Bühne sind? 

 

Jysch:  Wir werden einige Auszüge aus dem Comic lesen und danach gibt es ein moderiertes Gespräch mit Volker Kutscher und mir über die Entstehung von »Der nasse Fisch«. Volker ist ja ein Experte für die 1920er und 1930er Jahre. Man nennt ihm einen Tanzpalast und er weiß, wann der eröffnet wurde und kennt die Adresse. Es ist immer sehr spannend mit ihm über die Zeit zu sprechen, weil er so detailverliebt ist. 

 

 

Volker Kutscher lebt als freier Autor in Köln. Er hat Germanis-tik, Philosophie und Geschichte studiert und als Redakteur
bei der Kölnischen Rundschau gearbeitet. Seine Krimireihe
um den Kommisar Gereon Rath besteht aus mittlerweile sechs Romanen und bildet die Vorlage für Tom Tykwers neue Serie »Berlin Babylon«. 

 

Arne Jysch lebt in Berlin und hat Kommunikationsdesign und
Animation studiert. 2012 veröffentlichte er den Comic »Wave and Smile« über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

 

StadtRevue präsentiert

 

Lesung: Volker Kutscher
& Arne Jysch, Mi. 5.4.,
19.30 Uhr, Literaturhaus

 

Verlosung > Tageskalender erste Seite

 

»Der nasse Fisch«

Carlsen, 216 Seiten, 17,99 Euro