Rauschzustände: Rolf Emmerich im Spezialpullover, Foto: Dörthe Boxberg

Glamour, Elend, Glücksgefühle

Die Welt befindet sich im Rausch — die Grenzen verschwimmen: Festivalleiter Rolf Emmerich über das Sommerblut Festival

Viele Menschen suchen den Rausch — und das seit Jahrtausenden. Warum ist das jetzt Thema beim Sommerblut?

 

Eine Welt ohne Rauschzustände ist für mich nicht vorstellbar. Jeder Mensch lebt sie in unterschiedlichen Facetten und hat dafür seine persönliche Droge. Das wollen wir im Programm zeigen. Mal ist Rausch geil, mal gefährlich. Mal wird davor gewarnt, mal verhält sich Gesellschaft dazu ganz laissez-faire.

 

Du spielst auf die Einteilung in »guter Rausch / schlechter Rausch« an?

 

In Ekstase erleben wir die Welt intensiver, im Guten wie im Schlechten. Für mich ist Rausch ein Zustand von Freiheit. Den Zustand finde ich faszinierend, aber ich habe auch eine große Angst vor dem Kontrollverlust. In diesem Zwiespalt entsteht eine Spannung, die viele Künstler kreativ nutzen.  Musik, Literatur, Kunst und Drogen sind unzertrennlich.



Erst Kunst, dann Kater…

 

Es ist eine große Freiheit und eine große Verantwortung, die man als Mensch hat, mit Rausch umzugehen. Die Liste der Künstler, die mit bewusstseinsverändernden Substanzen, LSD oder Alkohol, Marihuana und Amphetamine, experimentiert haben, ist jedenfalls lang.

 

Was berauscht uns im Festival?

 

Der Choreograf Mehdi Farajpouraus aus Paris verführt uns mit Bewegungen. In »Frühlingsopfer« geht es um den Rausch des Tanzes, wie bei Derwishen, die sich in Drehbewegungen stundenlang in Trance wirbeln. Allerdings nimmt das in diesem Stück eine andere Wendung. Außerdem haben wir eine Produktion im Programm, da geht es um den Liebesrausch.

 

Mir fällt sofort Shakespeare ein.

 

Den haben wir mit »Macbeth« im Festival. Aber da geht es ja um Menschen, die sich von ihrer Macht berauschen lassen und in einer Paranoia enden. In »Nacktbadestrand« in der Regie von Rosa von Praunheim geht es um eine ältere Frau, die mit fast 70 Jahren ihren Körper neu entdeckt und in einen Sexrausch gerät.

 

Den sie »nur« konsumiert?

 

Das ist die Frage. Ist es Hingabe oder Konsum, Freiheit oder Sexsucht.

 

Ihr habt Euch, was die Locations angeht, auch  für Orte des Exzess’ entschieden. Eine Produktion im Durst auf der Weidengasse, einer echten Hardcore-Kaschemme.

 

Das ist ein Ort, wo viel getrunken wird, viel gefeiert, aber auch gute Gespräche stattfinden. Es ist ein sehr hedonistischer Ort. Dort gibt es Josephs Roths 1939 posthum veröffentlichten Erzählung »Die Legende vom heiligen Trinker« zu sehen, der dem Suff heillos verfallen war.

 

Tresen, Hocker, ein paar Stehtische, im Durst ist das Wesentliche auf wenigen Quadratmetern eingedampft. Regisseurin Anja Schöne wird sich etwas einfallen lassen müssen.

 

Die Zuschauer werden Teil der Inszenierung. »Andreas«, der Trinker steht hinter der Theke und wird dort von den Wundern heimgesucht.

 

Es gibt eine Produktion, die ich nicht unmittelbar mit dem Begriff Rausch zusammenbringe: »Planet Heimat«, ein Stück, das ihr als Theaterodyssee ankündigt.

 

Das ist ein Projekt mit Geflüchteten. Deswegen hat es sehr wohl mit Rausch zu tun, dem Machtrausch von Assad und des sogenannten Islamischen Staates. Die Art und Weise, wie dieser Krieg in Syrien geführt wird, hat zudem etwas mit Blutrausch zu tun und zerstörerischem Exzess.  Und es beschäftigt sich natürlich auch mit dem »deutschen Heimatrausch«, der vor allem von nationalkonservativen und rechtsextremen Kreisen besetzt ist.


Worum geht es?

 

Die Spieler werden sich eine neue Welt mit theatralischen Mitteln kreieren. Entstanden ist ein Parcours auf Odonien, der zeigt, was Zu-Hause-Sein für sie bedeutet. Es gibt von Festivalseite aber keine inhaltliche Richtungsvorgabe, dass heißt weder Sexismus oder Diktatur werden tabuisiert.

 

Das heißt?

 

Es gab kein vorgegebenes Stück oder eine Stückidee. Bearbeitet wurde die Frage: Was ist die Heimat in euch? Ein großer Türöffner war der Humor. Von sich aus entwickelten die Beteiligten witzige Szenen ihres Fluchtalltags. Durch diese Lockerung kamen dann auch die ernsten Themen: Das Erleben eines Giftgas-Angriffes, die familiären Entscheidungen, die Heimat zu verlassen, aber dann auch Gedichte der Zerstörung und Liebesgedichte. Das Leben in einem verlässlichen mitmenschlichen Umfeld — das wird von den meisten als Heimat angesehen.


Sommerblut Kulturfestival, 6. bis 21.5.,
alle Infos auf 2017.sommerblut.de