Foto: Dörthe Boxberg

Geht doch! Fußgänger wollen ihre Stadt zurück -Teil 3-

Der Handel verbündet sich mit dem Fußgänger für bessere Gehwege. Doch die Harmonie ist trügerisch

Breit, frei, einheitlich

 

Noch vor wenigen Jahren galt die Industrie- und Handelskammer (IHK) bei der Fahrrad-Lobby als Klub der Autonarren: Kunden sollten möglichst wenig zu Fuß gehen müssen. Am besten sollten sie wohl mit dem Auto bis in Umkleidekabinen fahren oder vor der Kasse parken können, höhnten Kritiker. Parkplätze vor der Tür jedenfalls erschienen Einzelhändlern als Garantie für gute Umsätze. Einiges ist seither in Bewegung geraten. Die IHK entdeckt das Fahrrad — und den Fußgänger. Die Kammer sei verkehrspolitisch weiter als mancher Politiker, hört man nun bei der Fahrrad-Lobby.

 

In bestimmten Einkaufsstraßen müsse der ruhende Verkehr weg von der Straße, sagt etwa Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK. »Wir haben genug Parkhäuser in der Innenstadt. Auch die Wirtschaft hat ein Interesse, dass die Aufenthaltsqualität für Fußgänger steigt.«

 

»Fußgängerpolitik ist auch Wirtschaftspolitik«, betont Susana dos Santos (SPD), Vize-Vorsitzende im Verkehrsausschuss, aber auch Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses. »Damit mehr Menschen zu Fuß gehen, müssen bessere Einkaufsmöglichkeiten in der näheren Umgebung geschaffen werden.« In den Veedeln müsse man sich fußläufig gut versorgen können. Zwar seien Vororte für Einzelhändler oft wenig lukrativ. Aber der stationäre Handel könne durch Online-Angebote und Service gestützt werden. »Radkuriere könnten ältere Menschen versorgen, während andere etwas auf dem Weg von oder zur Arbeit mitnehmen.« So könne es gelingen, dass weniger Menschen ins Zentrum fahren.  
Einige Einkaufsstraßen jenseits der Innenstadt sind in den vergangenen Jahren aufgewertet worden, auch für Fußgänger: etwa die Venloer Straße, die Severinstraße oder in Mülheim die Frankfurter Straße. Gehwege habe die Stadt dabei auf bis zu sechs, mindestens aber drei Meter verbreitert, sagt Sonja Rode, persönliche Referentin von Verkehrs- und Mobilitätsdezernentin Andrea Blome. Demnächst würden Neusser Straße und Berrenrather Straße angegangen.

 

Dass viele Haupt- und Einkaufsstraßen wieder zu Alleen würden,  wünscht sich Christl Drey,  Vorstandsvorsitzende des Hauses der Architektur Köln (siehe Gastkommentar, S. 33). »Bäume bringen Aufenthaltsqualität. Lieber zehn Bäume als zehn Stellplätze«, sagt sie. Zu viele Gehwege seien unattraktiv, weil die Stadtraumgestaltung noch zu kurz komme. So sieht es auch Ulrich Soénius von der IHK. »Es hilft nichts, wenn ein breiterer Fußgängerweg angelegt wird, und dann stellt man drehende Litfaßsäulen drauf, Zeitungskästen, Fahrradständer mit Werbung oder pollert alles zu«, sagt Ulrich Soénius. »Das ist zu viel Gerümpel. Es steht nicht nur im Weg, sondern stört auch stark das ästhetische Empfinden.« Die Stadt erarbeitet gerade eine neue Fassung ihres »Gestaltungshandbuchs«. Hier geht es um Standards und Vereinheitlichung von Pflasterungen, Beleuchtungen, Markierungen.

 

Allerdings trägt zum Gerümpel auf den Gehwegen auch die Außengastronomie bei. Dennoch gilt Gastronomie an Straßen und Plätzen als Garant für »Revitalisierung« oder »mehr Aufenthaltsqualität«. Das ist aber nicht nur eine Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, sondern beeinträchtigt auch Fußgänger, etwa an den Kölner Ringen, am Friesenplatz, am Beginn der Aachener Straße. Das Getümmel, das mancher als urbane Atmosphäre goutiert, senkt die Aufenthaltsqualität für Ältere, Kinder oder Menschen mit Behinderung. Die Interessen von Gewerbetreibenden und Fußgängern mögen sich oft für politische Zwecke bündeln lassen — aber sie unterscheiden sich auch wesentlich: Der Fußgänger ist eben mehr als bloß potenzieller Kunde.