Die Schönen und der Beat

Hat Terrence Malick mit Song to Song den Kredit seines Frühwerks verspielt? Oder ist er der freieste Filmkünstler Nord­amerikas?

PRO

 

Im Kern erzählt der 73-jährige Terrence Malick in »Song to Song« märchenhaft von zwei sich überschneidenden Liebesdreiecken vor dem Hintergrund der Musikszene in Austin, Texas. Sein Kameramann Emmanuel Lubezki, seit »Tree of Life« (2011) bei allen seinen Spiel­fil­men dabei, übersetzt das in be­rü­ckende Bilder aus dem moshpit ­bei Konzerten, von Sonnenuntergängen, von einander berührenden Körpern in Luxusapartments oder an Stränden.

 

In seiner späten Schaffensphase hält Malick weiterhin Abstand zum klassischen Geschichtenerzählen: Seine Paare leben von einem Kuss zum nächsten. Seine innigen Beobachtungen des Schäkerns türmen sich mehr zu einem überlebensgroßen Gesamtbild auf, als dass sie sich plausibel zu einer Handlung fügen. Aber inhaltsleere Werbe-Ästhetik ist das nicht. Malick plädiert mit seinem akustischen und vor allem visuellen Überschuss für eine ausgleichend ästhetisierende Wahrnehmung. Sogar dem Hässlichen lässt sich so ein Reiz abgewinnen: Wenn der geltungsbedürftige Manager (Michael Fassbender) ekstatische, aber letztlich freudlose Partys mit Prostituierten feiert etwa. Oder wenn Patti Smith immer wieder an der Seite der aufstrebenden Musikerin Faye (Rooney Mara) wie eine weise Krähe auftaucht und dabei mit schleppender Stimme von ihrem verstorbenen Mann erzählt. Oder wenn Iggy Pops gegerbte Haut in das braune Ledersofa überzugehen scheint.

 

Die alten Musiker-Legenden (aber auch die jungen: Lykke Li, Florence Welch), die in »Song to Song« wie zufällig ihre Monologe halten dürfen, bestaunt die Kamera fasziniert, beinahe fischäugig: wilde Tiere in ihrem Habitat. Aber das Versprechen von Glamour löst sie nicht ein: Konzerten wohnen wir aus dem Backstage-Bereich heraus bei, von schräg hinter der Bühne, wo die Illusion der perfekten Show zwischen Geschäftigkeit und desinteressierter Coolness der Umstehenden verpufft, wo Geldgier und Idealismus sich zerfleischen — verkörpert vom Manager und seinem treuherzigen Schützling (Ryan Gosling).

 

Schönheit findet Terrence Malick im Vorbeischauen am Rummel, im greifbar Vorhandenen. Und das tut er voller Wohlwollen, voller naiver Verspieltheit. Mit seinen Schauspielern fährt Malick Veranstaltungen und Lieblingsorte ab, filmt unterwegs im Auto: unablässig auf der Suche nach einem harmonischen Bild, dem perfekten Moment. Mit seinen elaborierten Improvisationen bringt Terrence Malick freiere Filme zustande als viele seiner jungen Kollegen.

 

 

KONTRA

Was müssen das für geheimnisvolle Zeiten zwischen 1978 und 1998 gewesen sein, die Terence Malick als Genie im Filmexil verbrachte und die Fans seiner Frühwerke rätselnd zurückließ, warum er seiner Bonnie-und-Clyde-Ballade »Badlands« und dem Edel-Melodram »In der Glut des Südens« kein drittes Werk folgen ließ. Umso größer war dann die Freude, als er sich mit dem Kriegsepos »Der schmale Grat« und der Pocahontas-Variante »The New World« aus der Asche erhob und selbstbewusst in die Kinoarena zurückkehrte.

 

Welche produktive Torschlusspanik ihn dann jedoch packte und dazu bewog, sein bisheriges Œuvre in gerade einmal sechs Jahren mit Nabelschauen zu verdoppeln und vom enigmatischen Kino-Poeten zum geschwätzigen Vielfilmer zu verkommen, bleibt ein Mysterium, das man gar nicht so genau erklärt bekommen will. Was mit »Tree of Life« einen vielversprechenden An­fang nahm, verlor mit »To the Wonder« und »Knight of Cups« im­­mer mehr an Reiz und hat mit dem Rührstück »Song to Song« nun einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht.

 

Inhaltlich mag es Malick diesmal in die Musikszene Austins verschlagen haben, wo Michael Fassbender, Rooney Mara, Natalie Portman und Ryan Gosling sich in verschiedenen amour fous verlieren, doch fällt es bald schon schwer, Übersicht und Interesse zu bewahren, wer hier gerade mit wem verträumt durch Wälder, gestylte Penthouse-Etagen oder Backstage-Bereiche turtelt.

 

Dass Malick nicht viel von Plots hält, Michael Fassbender entleert an Kameras vorbeigucken kann wie kein Zweiter, Ryan Gosling als in sich ruhender Beau im Redford-Modus überzeugt und Rooney Mara an ih­­ren waidwunden Rehblicken ge­feilt hat, überrascht kaum. Dass es eines Tages soweit sein könnte, dass man die Virtuosität von Kameramann Emmanuel Lubezki gelangweilt ab­tun würde, erstaunt schon eher. Irgendwann haben auch die malerischsten Kamerafahrten ihre Faszi­na­tion eingebüßt und können nicht mehr von der prätentiösen Selbst­ver­liebtheit ablenken, die sie bebildern.

 

Über die Musikszene Austins, in der das Elend seinen Lauf nimmt, erfährt man währenddessen genau gar nichts — außer dass Musiker ganz schön spirituelle Seelen sind. Hin und wieder torkeln Bands wie Arcade Fire oder die Black Lips durchs Bild, Iggy Pop spricht von früher, John Lydon macht das beste daraus und absolviert sein Cameo im Vollrausch. Patti Smith salbadert konfus, und die Red Hot Chili Peppers sind ganz verrückte Typen. Keiner von ihnen vermag es indes, den mü­den Malick zum Rocken zu bringen.
Vielleicht stünde Malick mal wieder eine Schaffenspause gut zu Gesicht.