Die trocken gelegte Sehnsucht nach Nähe

Magdalena Schrefels Sprengkörperballade wird von Andrea Imler uraufgeführt

Sechs Frauen, drei Paare. Eine -Mutter verlangt von ihrer Tochter, den verschwundenen Vater zu verkörpern. Zwei junge Frauen lassen sich durch die Stadt treiben und suchen nach etwas, das sich wie Leben anfühlt. Und zwei alte Tanten quälen sich gegenseitig, in jahrzehntelanger Hassliebe vereint. Das ist das Panorama von Magdalena Schrefels »Sprengkörperballade«: eine sprachlich genaue Erkundung menschlicher Einsamkeit.

 

Die Kölner Premiere ist die erste Aufführung eines abendfüllenden Stücks der Autorin. In einer dichten, manchmal auch sperrigen Sprache verlangt der Text, den Feinheiten genau nachzuspüren. Das gelingt der Regisseurin Andrea Imler mit ihrem ausgezeichneten Ensemble. In jeder Figur steckt die Möglichkeit einer Explosion, ein Funken, ein Vibrieren. Gleichzeitig sind sie von Verlorenheit und Verzweiflung durchdrungen. So entstehen Sprengkörperballaden.

 

 

Der von Tüchern durchzogene leere Raum ist kein spektakuläres Bühnenbild, aber für dieses Stück passt er gut. Vieles erinnert an Beckett und das absurde Theater. Besonders begeistern die beiden alten Damen. Die massige Sabine Orléans und die drahtige Kristin Steffen wirken als Cookie und Fuzzi wie klassische Komikerduos. Wie Wladimir und Estragon aus »Warten auf Godot«. Sie geben sich Halt, einfach nur weil die andere da ist. Dann geht Cookie in einem ihrer sadomasochistischen Spiele zu weit. Fuzzi hat sich eingenässt, Cookie will sie »trocken legen«. Das ist die ultimative Demütigung, der Verlust der körperlichen Souveränität. Sie stopft Fuzzi in eine Wanne mit eiskaltem Wasser, sie wehrt sich, schreit entsetzlich, doch nicht einmal die Todesangst, die Kristin Steffen hier glaubhaft vermittelt, dringt noch zu Cookie vor. Als die Freundin in einer Bühnenöffnung liegt und nur noch die Beine heraus schauen, bricht für Cookie alles zusammen. Sie ist zu weit gegangen ist, ihr Spielzeug ist kaputt. Und damit der einzige Mensch, den sie noch hatte. Sabine Orléans zeigt das unmenschliche Leid einer Krea-tur, kurz bevor sie im Nichts
zu versinken droht.

 

Die Frauen, von denen Schrefel erzählt, sind soziale Wesen. Aber es gibt keinen Kontext, in dem ein Ken-nenlernen möglich wäre. Sie sind viel zu verstört, zu verstrickt in ihrer Welt, um Tinder oder Parship in Betracht ziehen zu können. Am Ende gewährt die Aufführung eine geisterhafte Andeutung von Trost. Oder sagen wir lieber: ein Augenzwinkern dem Nichts gegenüber. 

 

»Sprengkörperballaden«


A: Magdalena Schrefel, R: Andrea Imler
1., 11., 14.6., 1.7., Außenspielstätte am Offenbachplatz, 20 Uhr