Fledermäuse in Dub

Das Brückenmusik-Festival stellt das Werk des Filmemachers

und Klangarchäologen Jeremy Deller in den Mittelpunkt

Unter den Säugetieren ist die Fledermaus eine ganz besondere Spezies. Nicht weil sie im Dunkeln lebt und ein Superheld nach ihr benannt ist. Sondern weil sie das einzige Landsäugetier ist, das sich mit Hilfe eines Echoortungssystems fortbewegt. Rund zehn Ortungslaute stoßen die Fledermäuse pro Sekunde aus, die meisten liegen jenseits des für Menschen hörbaren Bereichs über 20 kHz, oft wären sie lauter als ein Presslufthammer. Lange haben Wissenschaftler gerätselt, wie sich die kleinen Tiere in dunklen Höhlen fortbewegen. Erst in den 30er Jahren wurden ihre Ortungslaute im Labor nachgewiesen und es dauerte noch einmal sechzig Jahre, bis die Ortungsgeräte in den 90ern so mobil wurden, dass man damit unter Tage gehen konnte, um so das feine Orientierungssystem der Fledermäuse in ihrer natürlichen Umgebung hörbar zu machen.

 

Für die 23. Ausgabe des Kölner Festivals Brückenmusik ist das ein Glücksfall. Zweimal gehen die Festivalmacher auf eine nächtliche Tour um den Adenauer Weiher in Lindenthal, um dort Fledermäuse zu orten. Ausgelöst hat das der britische Künstler Jeremy Deller, dem das Festival in der Deutzer Brücke dieses Jahr gewidmet ist. »In meiner Jugend habe ich wie besessen Dokumentarfilme über Fledermäuse geschaut«, erzählt der 51-jährige Londoner, der 2015 den britischen Pavillion auf der Biennale in Venedig gestaltet hat. »Es sind faszinierende Tiere.« 2012 veröffentlichte er seinen Film »Exodus«, dafür besuchte er eine Fledermaushöhle in Texas und filmte einen Fledermausschwarm beim Ausfliegen aus der Höhle. »Das ist eine interessante Erfahrung«, berichtet Deller. »Die Fledermäuse interessieren sich nicht wirklich für Menschen, aber es ist gefährlich, zu ihnen zu gehen, weil sie sich so weit unter die Erdoberfläche zurückziehen.« In »Exodus« wird die klaustrophobische Enge der Fledermaushöhle erfahrbar. Der Film ist in 3D gedreht, sein Soundtrack besteht aus dem Schlagen der Fledermausflügel und den amplifizierten Ortungssignalen und erinnert an die frühen Experimente der elektro-akustischen Geräuschmusik.

 

»Exodus« ist das Herzstück der diesjährigen Brückenmusik, er wird in einen vierhundert Meter langen Raum in der Mitte der Deutzer Brücke projiziert. Im Eingangsbereich ist dagegen eine andere von Dellers Obsessionen aufgebaut: ein Soundsystem, wie es bei den Soundclashs in Jamaika und Dellers Heimat London verwendet wird. »Der Reggae-Produzent Adrian Sherwood wird dafür eine Platte aufnehmen«, sagt Deller. »Dazu hat er die Ortungsgeräusche der Fledermäuse gesampelt.«

 

Die Zusammenarbeit passt. Adrian Sherwood hat in den frühen 80ern die jamaikanischen Soundsystems mit der britischen Post-Punk-Szene zusammengebracht und auf seinem Label On-U-Sound eine britische Version karibischer Popmusik hervorgebracht. Auch Jeremy Deller ist von den Überlappungen der hybriden, postkolonialen Popkultur fasziniert. In seinem Bild »A history of the World« zeichnet er die Verästelungen zwischen Acid House und der im Niedergang begriffenenen Kultur der britischen Minenarbeiter auf. In seinem Projekt »Acid Brass« covert eine Blaskappelle aus Bergarbeitern britische Techno-Klassiker. 2009 hat er in Manchester eine Parade aus Goth-Kids, Rauchern und anderen Subkulturen angeführt. Begleitet wurde diese von einer Steelband, die Manchesterklassiker von The Smiths, Joy Division und den Buzzcocks als Calypso-Versionen aufführte. »Ich arbeite immer mit dem, was mich umgibt«, sagt Deller. In Köln wird er im Filmforum einen seiner Lieblingsfilme zeigen: Peter Przygoddas »Can«, in dem der Filmemacher ein Konzert der Krautrock-Band dokumentiert, das sie 1972 in der Kölner Sporthalle gegeben hat. Denn wie viele Briten ist Deller großer Fan der Popmusik aus dem Deutschland der 70er Jahre. »Ich glaube, wir mögen einfach, dass sie nicht aus Amerika kamen«, sagt er und lacht.

 

Deller interessiert sich nicht für die distanzierte, diskursive Reflektion, mit der Popmusik häufig im Kunstfeld betrachtet wird. Er will den verqueren Aneignungen, dem world-making der Fans, Besessenen und hoffnungslos Verfallenen zu ihrem Recht verhelfen. Für seine Installation »The Uses of Literacy«, ein Zitat von Cultural-Studies-Mitbegründer Richard Hoggart, hat Deller Fankunst der sozialistischen, walisischen Band Manic Street Preachers gesammelt: selbst gemalte Bilder, Fotocollagen, Gedichtbände und Tagebücher. Deller dokumentiert so, wie Popkultur einst dazu diente, sich die Welt zu erschließen.

 

In Köln zeigt er dazu seinen Dokumentarfilm »Our Hobby is Depeche Mode«. Deller fuhr nach Deutschland, Mexico und in die ehemaligen Ostblockstaaten, um mit Fans über ihr Verhältnis zu Depeche Mode zu reden. In den 80ern zirkulierten die Alben der Synthie-Pop-Band aus Basildon hinter dem Eisernen Vorhang als überspielte Kassetten, in der DDR wurden sie sogar von der staatlichen Plattenfirma veröffentlicht. Für viele Menschen sind sie deshalb der Soundtrack einer neuen Zeit, auch wenn die Lyrics von Sänger Dave Gahan vor Platitüden strotzen. Ist Deller selbst politisch? »Ich unterstütze die Labour Party«, sagt er. »Ich habe ein Poster für die Unterhauswahlen gestaltet. Es war schnell ausverkauft.«