Fotos: Dörthe Boxberg

Das Symptom der Oper Teil II

»Es ist gut, dass es die Debatte über Großprojekte gibt«

Bernd Streitberger, Technischer Betriebsleiter der Bühnen, über die Ursachen der enormen Kostensteigerung und welche Lehren man in Köln daraus ziehen sollte

 

 

Herr Streitberger, Sie sind seit 15 Monaten auf der Baustelle am Offenbachplatz. Was haben Sie in der Zeit eigentlich getan?

 

Ich musste neue Strukturen aufbauen, ein Team zusammenstellen, das zunächst geschützt vom öffentlichen Druck agieren kann. Heute umfasst mein Team 18 Männer und Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen und Qualifikationen, die wir alle für diese überaus anspruchsvolle Aufgabe benötigen. Die Intendanten Stefan Bachmann und Birgit Meyer tragen keine Verantwortung mehr für die Baustelle. Die Führungsspitze des Sanierungsprojekts bilden jetzt Patrick Wasserbauer als Geschäftsführender Direktor der Bühnen und ich. 

 

 

Also war es ein Fehler, dass zu Beginn die Intendanten der Bühnen die Bauherren waren? Und auch, dass die Projektleitung bei der städtischen Gebäudewirtschaft angesiedelt war?

 

Als Eigenbetrieb der Stadt sind die städtischen Bühnen natürlicherweise der Bauherr. Da die Bühnen aber keine Baukompetenz besaßen, wurde die städtische Gebäudewirtschaft mit der Projektleitung beauftragt. Das hat zunächst auch gut funktioniert. 

 

 

Aber offenbar nicht lange.

 

Es gab längere Entscheidungswege und möglicherweise auch unterschiedliche Perspektiven auf das Projekt. Daher war es konsequent, nach der Absage der Wiedereröffnung 2015 die Verantwortung bei den Bühnen zu konzentrieren und die Gebäudewirtschaft herauszunehmen. Der Bauherr kann seine Verantwortung nicht delegieren, aber nun gibt es mit mir eben auch einen Technischen Betriebsleiter. Durch diese neue Struktur weiß jetzt jeder, wer den Hut aufhat. 

 

 

Bis zum Eklat, dass der Eröffnungstermin von Oper und Schauspiel für Ende 2015 nicht zu halten sei, hatte im zuständigen Betriebsausschuss der Bühnen immer häufiger der externe Projektsteuerer Turadj Zarinfar berichtet — und nicht die Intendanten, die doch Bauherr waren.

 

Heute berichten in den Ausschüssen nur Herr Wasserbauer und ich. Deshalb haben wir auch bei der Politik Vertrauen zurückgewonnen.

 

 

Woher kamen die Probleme? Waren die dem Bauen im Bestand geschuldet? Oder lag es an der schlechten Planung?

 

Es ist immer multikausal. Aber wir sehen das größte Problem bei der Planung, die nicht konsistent war. Es fehlte die Koordination der einzelnen technischen Gewerke und es fehlte die Koordination mit den baulichen Gegebenheiten. Verschärft wurde das Problem durch eine suboptimale Bauleitung. Der Schwierigkeitsgrad bei der Sanierung von Bestandsgebäuden — wie eben der Oper — ist um ein Vielfaches höher als bei einem Neubau. 

 

 

Sie haben auf den Baustellen insgesamt 10.000 Mängel festgestellt, kleine, aber auch große. Wie schockiert waren Sie, als Sie das Ausmaß erfasst hatten?

 

Ich war mehr wütend als schockiert. Der frühere Kulturdezernent Georg Quander, der damalige Chef der Gebäudewirtschaft Engelbert Rummel und ich als damaliger Baudezernent, wir drei hatten klare Strukturen geschaffen. 

 

 

Wie kam es dann zum Desaster?

 

Es gab schon Mitte 2012, als ich zur städtischen Entwicklungsgesellschaft »moderne stadt« wechselte, Irritationen im Verhältnis zum Planer der Gebäudetechnik. Als Oberbürgermeisterin Henriette Reker mich 2016 bat, den Posten des Technischen Betriebsleiters der Bühnen anzunehmen, dachte ich mir: Ich habe damals das Projekt mit aufgesetzt und trage somit Verantwortung. Wenn ich jetzt die Chance bekomme, das ordentlich abzuschließen, dann ist das auch eine Pflichtaufgabe für mich. Außerdem kann ich dem Ruhestand sowieso nicht ins Auge sehen. 

 

 

Sie haben 33 sogenannte Big Points als massivste Probleme identifiziert. Welche sind das?

 

Wir haben uns die Liste mit den 10.000 offenen Punkten vorgenommen und markiert, wo die schlimmsten Probleme liegen. Diese 33 Big Points machen 60 Prozent der Probleme aus und 100 Prozent des Zeitbedarfs! Die Big Points betreffen die gesamte Gebäudetechnik: Elektro- und Kälteversorgung, Lüftung, Sprinklerung und insbesondere Kollisionen zwischen diesen Gewerken im knappen Raum, die dann erhebliche Auswirkungen auf den Brandschutz haben.

 

 

Wieviel Prozent müssen Sie jetzt zurück- oder neu bauen?

 

Man muss die Frage nach Rückbau oder Neubau differenziert betrachten: Wir sind darauf angewiesen, die technischen Standards unserer Baugenehmigung zu halten, also eher umbauen. Würden wir für die Lüftungsanlage eine neue Zulassung beantragen, müssten wir nach neuen Richtlinien bauen. Dann benötigten wir doppelt so viel Platz — und das wäre in diesem Gebäude unmöglich. Bei der Elektro-Versorgung ist das anders: Es spart mehr Zeit und Kosten, die alten Kabel zu ziehen und neue Kabel einzuziehen. 

 

 

Wie hat sich unter Ihnen das Verhältnis zu den Firmen geändert?

 

Wir haben hier 63 Firmen, die für 93 Gewerke zuständig sind — eine große Koordinierungsaufgabe. Die Firmengespräche waren das dickste Brett, das im ersten Jahr zu bohren war. Wir haben diese Gespräche komplett neu strukturiert: Es werden jetzt Verabredungen getroffen und in einem gemeinsamen Protokoll festgehalten. So wächst langsam wieder Vertrauen. Außerdem haben wir alle kurze Wege. 

 

 

Sie haben Ihr Büro direkt an der Baustelle ...

 

Ja, und es ist immer wieder ein phänomenaler Effekt, wenn ich zu den Firmen sage: »Lassen Sie uns das doch mal eben auf der Baustelle nachsehen!« 

 

 

Wie viele Gespräche stehen denn noch an?

 

40 Prozent der Firmengespräche haben wir hinter uns. Wir werden sie voraussichtlich erst im November dieses Jahres abgeschlossen haben. Da das auch ein Risiko ist, haben wir das in unserer Zeitprognose entsprechend eingepreist. 

 

 

Wie blicken Sie von heute aus auf jene Zeit, als das Schauspielhaus abgerissen und neu gebaut werden sollte?

 

Und was bedeutete es, dass 2010 das Bürgerbegehren für den Erhalt und die Sanierung des Schauspielhauses erfolgreich war? Es war bekannt, dass ich ein -Verfechter der Sanierung war. Aber 2004 bis 2006 stand plötzlich alles zur Disposition. Da gab es ja schon die Vision eines Neubaus der Bühnen als »splitternder Glaskristall« am Rheinufer. Der Wettbewerb für einen Neubau des Schauspielhauses unter Beibehaltung des Opernhauses war ein Kompromiss, dem ich dann zugestimmt habe. Die planerischen Kosten des Projekts sind allerdings fortlaufend gestiegen. Dann kam das Bürgerbegehren, das Schauspielhaus zu erhalten — das hat für enormen Zeitdruck gesorgt. 

 

 

Aber Ihre damalige Kostenschätzung von 253 Mio. Euro für die Sanierung von Schauspielhaus, Opernhaus und Opernterrassen war auch sehr optimistisch.

 

Im April 2010 hat der Rat die Entscheidung getroffen, dem Bürgerbegehren beizutreten. Daraufhin hat das Münchner Planungsbüro TheaPro eine Machbarkeitsstudie erarbeitet, die unter den gegebenen Umständen und dem Zeitdruck seriös war. Wäre es dann auf der Baustelle nicht zu den Verwerfungen gekommen, wäre das Projekt nach meiner Meinung auch in der Nähe von 253 Mio. Euro gelandet. Letztlich hat die Zeit gefehlt, um alles gut durchzuplanen. 

 

 

Dann liegen die Gründe für die verfehlte Planung nicht nur bei der Firma Deerns, die für Planung und Bauleitung der Haustechnik zuständig war? Sondern es liegt auch am Zeitdruck, den die Stadt und das Bürgerbegehren erzeugt haben?

 

Ich würde es nicht so formulieren und benenne auch keine Schuldigen. Der Rat hat das Rechnungsprüfungsamt beauftragt, die Ursache der Havarie zu untersuchen. Erste Ergebnisse sind im Herbst zu erwarten, und ich werde mich während des laufenden Verfahrens auch nicht zu Details äußern. Generell möchte ich aber festhalten, dass wir seinerzeit getan haben, was möglich war. Aber richtig ist, dass die Zeit sehr knapp war. 

 

 

Welche Lehre ziehen Sie nun daraus? Was bedeutet das für zukünftige Großprojekte der Stadt?

 

Es steht ja einiges an. Zunächst ist es gut, dass es die Debatte über Großprojekte gibt. Die zentrale Maßgabe lautet, sorgfältig und intensiv zu planen. Selbst um den Preis, dass man hinterher auf das Projekt verzichtet und Planungskosten vernichtet hat. In Frankfurt hat man jetzt 4,5 Mio. Euro für eine Machbarkeitsstudie zur Sanierung oder zum Neubau der Bühnen ausgegeben, an der drei Jahre gearbeitet wurde. 

 

 

Waren in Köln damals der Druck von Politik und Bühnen zu groß, um sorgfältig zu planen?

 

Alle hatten die gleiche Forderung, dass wir die Sanierung schnell über die Bühne kriegen müssen. Nicht nur Politik und die Bühnen — auch die Verwaltung. Das ist grundsätzlich auch verständlich. Nur kann man bei einem solch elementaren, hochkomplexen Sanierungsfall ab einem bestimmten Punkt keine Zeit mehr einsparen, ohne sich unerwünschte Nebeneffekte ins Haus zu holen.

 

 

Worin liegt für Sie als erfahrenem Baudezernenten und dann Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsgesellschaft »moderne stadt« eigentlich der Reiz, wieder in den Nahkampf auf die Baustelle zu gehen?

 

Als Dezernent hatte ich gefühlt tausend Themen, denen ich mich nach meinen Maßstäben nie in der notwendigen Intensität widmen konnte. Bei der »modernen stadt« hatte ich noch ein gutes Dutzend Projekte, die ich vollständig durchdringen konnte. Und jetzt habe ich nur noch ein Projekt. Ich genieße das. Unsere Struktur ist auf das Projekt zugeschnitten. Wir haben flache Hierarchien und ein unglaublich gutes Klima im Team. Es wird frei diskutiert. Bei den Besprechungen will ich von allen die Meinung wissen, nicht nur von den Ingenieuren. Es gibt keine Doppelstrukturen, keine Verzögerungen, sondern Transparenz bei den Entscheidungen. Das ist für die Verhältnisse einer Verwaltung etwas Besonderes.

 

 

... und Vorbild für andere Projekte?

 

Eindeutig. Diese klaren Strukturen, die Projektorganisation und das Team Building auf Zeit sind der richtige Weg, um Mitarbeitern mehr Freiheiten, aber auch mehr Verantwortung zu geben. Es gilt immer das Vier-Augen-Prinzip, niemand entscheidet allein. Klarheit und Geschwindigkeit sind unser Kapital. 

 

 

Klingt fast zu gut.

 

Es unterlaufen auch mal Fehler. Aber wenn alles auf Fehlervermeidung ausgerichtet ist, passiert letztlich gar nichts.

 

 

Nach all den Horror-Meldungen zu Kosten und Terminverschiebungen scheint sich in Köln niemand mehr auf die Fertigstellung zu freuen. Was wollen Sie dagegen tun?

 

Wir werden zwei Studenten ausbilden und wöchentlich Führungen anbieten. Jeder, der hier schon mal bei einer Führung dabei war, ändert seine Sichtweise auf das Projekt. 

 

 

Was werden Sie am Abend der Eröffnung tun?

 

(lacht) Dann sitzen mein Team und ich in der Südstadt in der Kneipe, und wir machen richtig einen drauf.