Die Sanierung der Oper in Köln, Foto: Dörthe Boxberg

Das Symptom der Oper Teil III

Die Fehlplanungen und die enorme Geldverschwendung bei der Bühnensanierung müssen untersucht werden. Sie sind nicht das Werk einzelner, sondern das Desaster hat System

Kölner haben Katastrophenstolz: Wenn schon vieles misslingt, dann will man wenigstens im Scheitern der Größte sein. Bloß Desaster ist nicht genug, es muss Rekorde brechen. Deshalb stellt ab sofort die Kostenexplosion der Hamburger Elbphilharmonie den Bezugswert dar: 866 Mio. Euro. Die gilt es zu überbieten. Schaffen wir das? Schützenhilfe leistete die Bild-Zeitung, die durch windige Additionen Köln vier Millionen Vorsprung zuerkennt.  

 

In Köln rechnet man indes seit der Pressekonferenz am 3. Juli mit 570 Mio. Euro. Sieben Jahre und etliche Skandale früher ging man noch von 254 Mio. aus. Und diese Kostensteigerung von 125 Prozent ist naturgemäß nur eine Schätzung, wenn auch »ein absolut realistisches Szenario auf der Grundlage begründeter Annahmen«, wie Bernd Streitberger, Technischer Betriebsleiter der Bühnen, sagt. 2022 soll die Schlüsselübergabe an die Bühnen erfolgen, das wäre zehn Jahre nach Beginn der Arbeiten. Eigentlich wollte die Stadt im November 2015 das sanierte Architektur-Ensemble eröffnen. Noch im März 2015 setzte man deshalb auf »Beschleunigungsmaßnahmen«, bevor im Juli der Festakt abgesagt wurde. Dass der Eröffnungstermin nicht zu halten sein würde, hätte man früher sehen können. Aber, ähnlich wie bei den Kontrollen auf der Baustelle, wollte man nichts sehen. So schuf man jenes Chaos, das nun gebändigt werden muss.  

 

Dafür hat die Stadt Bernd Streitberger zurückgeholt. Im Mai vergangenen Jahres bestellte ihn der Rat zum Technischen Betriebsleiter der Bühnensanierung. Er war bis Juni 2012 Baudezernent der Stadt, hat die Sanierung der Bühnen mit vorbereitet. Wenn es einer schaffen kann, dann er, sagen viele im Rathaus. Aber diese Komplimente sind auch bequem: Wenn er‘s jetzt macht, müssen wir uns nicht mehr kümmern.

 

Als Streitberger nun die neue Kostenschätzung und den Termin der Fertigstellung nennt, hätte sich die Überraschung in Grenzen halten müssen. Weniger, weil die Ergebnisse der umfassenden Analyse schon vor dem Wochenende an die Tagespresse durchgestochen wurden. Vielmehr, weil niemand etwas Besseres hätte erwarten dürfen. Denn so zu tun, als überraschten die neuesten Zahlen, ist heuchlerisch. Spätestens seit November 2016, als der Rat das Budget schon auf 404 Mio. Euro erhöhte, war klar, dass die Sache damit nicht erledigt sein würde.   

 

»Alle wollen Transparenz, jetzt haben wir Transparenz«, sagt OB Henriette Reker. Das ist kluger Sarkasmus. Die Frage ist nur, was aus dieser Transparenz folgen wird. Zunächst: nichts. Oder: nichts Gutes. Es wird bloß eine Schuldige gesucht. Das Boulevardblatt Express nahm umgehend Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach ins Visier. Zwar ist deren kryptische Krisenkommunikation ebenso ein Makel wie ihr Desinteresse, den Bau, die Sanierung oder die Erweiterung ihrer Kulturbauten zu betreuen (siehe Seite 12). Aber Inkompetenz ist kein Alleinstellungsmerkmal der glücklosen Dezernentin. Die Probleme — man muss das immer wieder sagen — sind struktureller Art. Darauf weist zurecht auch die Linke im Rat der Stadt hin, die sich deshalb ebenso wie die SPD bisher nicht an der Kampagne gegen Laugwitz-Aulbach beteiligen mag. 

 

Anders CDU, Grüne und FDP, die auf die Express-Kampagne aufgesprungen sind und die Kulturdezernentin mit einer Zweidrittel-Mehrheit aus dem Amt jagen wollen. Allein, ihnen fehlen die Stimmen der SPD, und die genießt das. Fraktionschef Martin Börschel erklärt zunächst geduldig etwas Selbstverständliches, nämlich dass man erst die Strukturen des Desasters analysieren sollte — um dann aber en passant doch andere Personen ins Spiel zu bringen, die seiner Ansicht nach ebenfalls die Schuld tragen könnten: den ehemaligen Leiter der Gebäudewirtschaft Engelbert Rummel, den früheren Baudezernenten Bernd Streitberger, den Baudezernenten Franz-Josef Höing, der soeben seinen Wechsel als Oberbaudirektor nach Hamburg angekündigt hat (siehe Seite 9). So ein Zufall aber auch: alles Verwaltungs-beamte, die der CDU angehören oder nahestehen. Dass unter der damaligen Ägide von OB Jürgen Roters (SPD) keine Sozialdemokraten verantwortlich gewesen sein -können, ist schon eine bemerkenswerte Einschätzung.

 

So oder so ist die Kampagne gegen Laugwitz-Aulbach ein weiteres Desaster. Das ähnelt einem Sündenbock-Mechanismus, durch den andere sich reinzuwaschen versuchen. Aber solange die SPD sich sperrt, wird es keine Abwahl von Laugwitz-Aulbach geben. Dennoch ergibt das ein Dilemma: Tritt die Dezernentin nicht von selbst zurück, agiert sie fortan als lame duck, weil ihr die Ratsmehrheit kein Vertrauen entgegenbringt. Tritt sie doch zurück, würde dies eine falsche Erklärung des Desasters nahelegen: dass eine Person allein die Schuld trage.

 

Einig ist man sich immerhin darin, dass die städtische Gebäudewirtschaft besser organisiert werden müsse. Sie war betraut mit der Projektleitung der Bühnensanierung —-
obwohl sie doch schon mit Bau und der Sanierung von Schulen und Kitas überfordert war. Im Mai 2016 übernahm dann Streitberger. Schon Ende 2011, noch unter OB Roters, wurde die Gebäudewirtschaft nach einem Ratsbeschluss einer »umfassenden Organisationsanalyse« unterzogen, ohne spürbaren Effekt. Jetzt will es OB Henriette Reker besser machen. Dafür wird aber mehr, und vor allem qualifiziertes Personal nötig sein. Denn entscheidende Stellen sind unbesetzt, es fehlen Ingenieure, Statiker, Projektleiter. Und man kann ja nicht für jedes Großprojekt Streitberger holen. 

 

Dass auch die Oper, die Theater und Museen in die Zuständigkeit des Baudezernats gehören und nicht ins Kulturdezernat, ist eine weitere Lehre, die man jetzt bereits aus dem Desaster ziehen kann. Für städtische Bauprojekte zweckmäßige und klare Strukturen zu schaffen, gehört dabei zur Aufgabe der Verwaltungsreform, die Reker begonnen hat. Allerdings drängt die Zeit. Die nächsten Mega-Projekte stehen an oder wackeln längst: Sanierung des Römisch-Germanischen Museums, Erweiterung des Wallraf-Richartz-Museums, die MiQua. Die Historische Mitte, bei der die südliche Domseite umgekrempelt werden soll, befürwortete eine Ratsmehrheit euphorisch — ohne die Kosten zu kennen, die erst im Herbst ermittelt sein werden. Die Erkenntnis, dass ohne aufwendige, tiefe Planung kein Großprojekt umgesetzt werden sollte, ignoriert man, wenn das Renommee allzu verlockend ist. So wird es nicht weitergehen können.  

 

Der Rechnungsprüfungsausschuss hat unterdessen Ende 2016 ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Ursachen für die Verzögerung der Bühnensanierung analysieren soll. Es hätte seit einigen Monaten vorliegen sollen. Die Situation wäre jetzt eine andere, und die Kritik konzentrierte sich kaum dermaßen auf Laugwitz-Aulbach oder andere Halbtalentierte. Aber die Kölner Kanzlei Hecker /Werner/Himmelreich wird den Bericht erst Ende September beibringen. Man dürfe sich auch nicht zu viel erwarten, sagt Jörg Detjen (Linke), Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses. »Aber wir werden einiges zu diskutieren haben.« 

 

Die »Reformkommission Bau von Großprojekten« des Bundes hat 2015 erkannt, dass viele Desaster sich gleichen. Und dass »es keinen Alleinverantwortlichen für die Fehlentwicklungen bei Großprojekten gibt«. Es mag eine spezifische Kölner Misere geben, doch zahlreiche Großprojekte, die Budgets und Zeitpläne sprengen, scheitern ähnlich. Köln ist also nicht mal im Scheitern besonders. Selbst beim Bühnen-Desaster sind wir bloß: ganz gewöhnlich.