Bettgeschichten

materialien zur Meinungsbildung /// folge 187

 

Jeans-Shops, Sauerstoff-Bars, Superfruit-Bistros — sie hatten ihre Zeit. Was bleibt, sind Matratzengeschäfte. Sie sind überall. 

 

Ist der Matratzenverschleiß so hoch? Liegt es an minderer Qualität oder pflegen wir unsere Matratzen nicht ordnungsgemäß? Oder bettet man sich neuerdings nicht bloß auf einer, sondern einem halben Dutzend Matratzen? Eine Nation auf der Erbse, wie im Märchen? Im Vergleich zu all den Matratzen-läden scheint es mir eine dramatische Unterversorgung mit Nagelstudios und Druckerpatronen-Tankstellen zu geben. Wer braucht all die Matratzen? Boomen in Deutschland Hardcore-Bands, die mit Matratzen ihre Probekeller schallisolieren, weil Eierkartons nicht vegan sind? 

 

Ich wollte bloß eine neue Matratze zum Schlafen, die alte fühlte sich falsch an. Wenn man eine Matratze kauft, entscheidet sich, ob man in den kommenden Jahren schlafen wird wie ein Baby oder ob die Nächte endlos sein werden, durchwacht im schweren Dämmer, mit einem dumpfen Schmerz in Rücken und Seele. 

 

Ich wollte den Fachhandel unterstützen. Es gibt »Gesunder Schlaf Studio«, »Träumeland Reisen« oder »Betten Bertram«. Wer diese Läden betritt, erfährt, dass er das Wichtigste im Leben gar nicht kapiert hat: die Bedeutung der Matratze. Ich fragte: »Kaltschaum oder Federkern?« — »Da ist die Frage schon falsch gestellt, junger Mann!«, sagte ein junger Mann. Und dann musste ich probeliegen. Ich kann das nicht. Ich sah auch noch keinen, der es gekonnt hätte. Die Kunden nehmen die Positur für eine Aufbahrung ein und sehen aus wie tote Päpste. Oder sie vollführen ironisch Kopulationsbewegungen. Probeliegen ist morbide oder burlesk, aber stets erniedrigend und ohne Erkenntnisgewinn.

 

Was soll ich überhaupt erproben? Ich habe keine »Schlafposition«, verdammt noch mal. Nie weiß ich, wohin mit all den Gliedmaßen. Sie sind beim Schlafen ja auch sehr unnütz. Da komm ich mir vor wie der kuriose Käfer in der Kafka-Erzählung, bloß dass der als Mensch schlafen ging und als vielbeiniges Insekt erwachte. Bei mir ist es eher umgekehrt.

 

Bei Kafka liegt oft jemand im Bett, auch ohne zu schlafen: Käfer, Sachbearbeiter, Winkeladvokaten. Ich könnte nicht sagen, was im Bett bei vollem Bewusstsein bequem sein soll. Man kann Kafka oder Matratzen-Kataloge lesen, man kann seinen Kaffee verschütten. Aber am besten schläft man. 

 

Denn wozu ist ein Bett da? Genau: um auf ihm schlafen. Stopp! Bevor wir unschön über Präpositionen streiten: In dem Bett schlafen die Hausstaubmilben. Auf dem Bett schlafe ich. Das ist wie: In Schalke arbeitet der Horst, auf Schalke arbeitet der neue 40-Millionen-Einkauf, über den sich der Horst ärgert, wenn er nach dem Stadion besoffen aufs Bett fällt.

 

Man dürfe auf keinen Fall auf dem Bauch schlafen, warnt Gesine Stabroth. Man wache auf und sei erstickt oder der Rücken durchgebrochen! Es sei noch gefährlicher und ungesünder als auf der Seite zu schlafen, was ohne Zuhilfenahme einer »zonierten Taschenfederkernmatratze« mit »Ergo-Querkanälen« einer Selbstverstümmelung gleichkäme. Auf dem Rücken zu schlafen — das sei das kleinste Übel, aber ich müsse es lernen und mit der korrekten Atmung einschlafen — und abends keine Kartoffeln essen und wenn nur eine und bio! Gesine Stabroth war sehr aufgeregt bei diesem Thema, ich habe nicht alles verstanden. Wohl aber, dass es einem Wunder gleichkomme, dass der Mensch jene dunklen Jahrtausende überlebte, in denen die Sieben-Zonen-Komfortschaum-Matratze für Allergiker noch nicht erfunden war.

 

Aber die beste Matratze bringt nichts mit falschem Lattenrost, sagt Gesine Stabroth. Dann lernte ich einen neuen Begriff: Faszien. Er stellt die gesamte Geschichte der Matratzenforschung auf den Kopf.