Auf Leben und Tod

34 Jahre musste die Japanische Künstlerin Midori Takada darauf warten, dass die Welt für ihre unter der Lupe entworfenen Perkussion-Welten bereit ist

Manche Geschichten klingen zu gut, um wahr zu sein. Zum Beispiel jene von einer japanischen Perkussionistin, die jahrelang darauf hingearbeitet hat, in einem internationalen Orchester zu spielen, nur um wenige Minuten, bevor sie erstmals mit den Berliner Philharmonikern auf die Bühne tritt, schlagartig (sic) zu spüren, dass dies nicht der richtige Weg für sie ist.

 

Aber genau so sei es passiert, bekräftigt Midori Takada, und ist selbst etwas amüsiert über die Irrationalität, die in dieser künstlerischen Konsequenz mitschwingt. »Es war keine Entscheidung, es war eine Notwendigkeit. Ich könnte heute nicht hier sein, wenn ich in Berlin ein Konzert mit den Philharmonikern geben müsste.«

 

Unser Gespräch findet im Pressebereich des Flow Festivals in Helsinki statt, wo Midori Takada am nächsten Tag ein Konzert geben wird. Zu verdanken hat sie dies einem Fan, der ihre drei zwischen 1983 und 1999 veröffentlichten Alben auf Youtube gestellt und so einen regelrechten Hype um die 66-jährige Japanerin und ihre intensive, konzentrierte Musik zwischen Ambient, Global und Minimalausgelöst hat. Vorläufiger Höhepunkt: die Wiederveröffent-lichung ihres Debütalbums »Through The Looking Glass« auf den Hipsterlabeln Palto Flats und We Release Whatever The Fuck We Want Records.

 

Mit der Ruhe einer Zen-Priesterin hatte Midori Takada zuvor 34 Jahre lang akzeptiert, dass die angemesse Wahrnehmung des eigenen Werks als Künstlerin nicht einklagbar ist. Dieser unerschütterliche Blick auf die eigene Existenz und die künstlerische Konsequenz auf ihrem Lebensweg waren nur möglich, weil Midori Takada schon früh zu eigenständigem Denken und Weltoffenheit ermutigt wurde — sie ist in einem liberalen, äußert kulturell geprägten Elternhaus aufgewachsen. Der Vater gründete die erste Gesellschaft für irische Literatur in Japan, die Mutter studierte in Shanghai klassisches Klavier.

 

Man hört Midori Takada gerne beim Erzählen zu. So natürlich wie sie zwischen Englisch und Japanisch (das leicht zeitversetzt simultan von ihrem Manager übersetzt wird) wechselt, weiß sie auch ernsthafte Ausführungen, entwaffnende Offenbarungen und anekdotische Passagen zu kombinieren.

 

Wir kommen auf den aktuellen Erfolg von »Through The Looking Glass« zu sprechen, der Midori Takada natürlich zusagt, dessen langes Ausbleiben sie aber auch nicht in einen Lebenskrise gestürzt habe, wie sie betont. Mit japanischer Contenance verweist sie auf eine höhere Bestimmung, die jenseits der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten liegt: »Ich habe 1983 ein Album aufgenommen, und nun führe ich den damals beschrittenen Pfad weiter. Die Zeit dazwischen, sie war künstlerisch notwendig für mich — und vielleicht auch für die Welt, die erst lernen musste, mich zu verstehen.«

 

»Die Aufnahmen waren sehr anstrengend«, erinnert sich Midori Takada. »Mir standen nur zwei Tage zur Verfügung, so dass ich dauernd gestresst war. Bei den Stücken spielt die Perspektive eine besonders wichtige Rolle. Für jeden einzelnen der Sounds, die alle von mir gespielt wurden und später übereinander gelegt, galt es die richtige Distanz zum Mikrofon zu finden. Es war eine echte Rauminstallation.« Die vier Stücke des Albums, »Mr. Henri Rousseau’s Dream«, »Crossing«, »Trompe-l’œil« und »Catastrophe ?«, sind dementsprechend nicht aufführbar. »Es gehört zum Konzept des Albums, dass es nie auf eine Bühne gebracht wird, auch wenn sich das nun viele -wünschen.«

 

Dass sie bedingt durch die fehlende Aufmerksamkeit in ihrer Karriere nur drei eigene Alben hat veröffentlicht können — neben »Through The Looking Glass« noch »Lunar Cruise« und »Tree Of Life« — und das mit großen zeitlichen Abständen, auch das weiß Midori Takada für sich zu relativieren. »Für manche Musiker steht das Aufnehmen von Platten nicht im Vordergrund«, merkt sie an und lenkt das Gespräch auf ihre vielschichtigen künstlerischen Aktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten. »Ich habe durchgehend komponiert und Konzerte gegeben. Wobei sich mein Performancestil gewandelt hat, nicht zuletzt, da ich über die Jahre viel mit dem Regisseur Tadashi Suzuki für Theaterproduktionen zusammengearbeitet habe.«

 

Die Theaterarbeit habe es ihr ermöglicht, zu ihrer künstlerischen Position aufrichtig zu stehen und sich nicht dem Markt beugen zu müssen, betont Midori Takada ernsthaft. So konnte sie sich in die Traditionen afrikanischer und asiatischer Perkussion-Musik einarbeiten, ein Genre, dem sie sich bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung von »Through The Looking Glass« mit ihrer Band Mkwaju Ensemble widmete. In den 80ern und 90ern arbeitete Midori Takada mit Musikern wie Kakraba Lobi (Ghana), Lamine Konnte (Senegal), Farafina Band (Burkina Faso), Chi Seong-Ja (Korea) und Kang Tae-Hwan (Korea) zusammen und reiste oft in deren Heimatländer. Die Reisen lehrten sie, dass sie, auch wenn sie sich selbst nicht als politische Person begreift, doch wissen muss, was in der Welt vor sich geht, um die Geschehnisse zu kommentieren: »Musik ist für mich nicht nur Entertainment. Musik speist sich aus der Realität, sie handelt von Leben und Tod.«

 

Es ist selten, dass eine Künstlerin derart unangestrengt präzises Arbeiten, gelebte Spiritualität und weltzugewandten Humor in ihrem Werk vereinen kann. Takada ist es zu gönnen, dass der aktuelle Rummel nur der Anfang eines stetig wachsenden Interesses an ihrer Arbeit ist. Die Zeichen stehen gut, dieser Tage erscheint auch »Lunar Cruise« neu, ihr 1990 gemeinsam mit Masahiko Satoh aufgenommenes Album, auf dem die beiden unter Mithilfe von Haruomi Hosono (Yellow Magic Orchestra) und Kazutoki Umezu afrikanische und asiatische Perkussionmusik mit Einflüssen aus Jazz und Ambient kombinierten.