netzmusik

von Marco Trovatello (Twitter @marco_t)

Louis Lingg and the Bombs haben ein neues Album draußen. »Songs for a Tear Gas Sunset«, das bis dato letzte Album der selbsternannten »gottverdammten Punkrock-Garage-Elektro-Bigbeat-Anarcho-Retter des Zweieinhalb-Minuten-Popsongs« aus Paris hatte Stoffel hier vor ziemlich genau zwei Jahren schon mal abgefeiert. Natürlich muss ich dasselbe mit »Favela Ninja« wieder tun. Das ist alles so catchy, solide und trotzdem zeitgemäß, dass ich mir die Bombs sofort als Opener für die kommende Chefdenker-Tour wünsche, auf dass beide Bands zu Weltruhm gelangen. Meine Favoriten sind der immer melodische und wie die Hölle treibende Bass, das Wechselspiel zwischen weiblichem und männlichen Shouter, der Drumcomputer, die witzigen Elektrosprengsel — und die Orgel! Der traurigen Geschichte des 1887 hingerichteten Gewerkschafters und Anarchisten Louis Lingg jedenfalls setzt die Band mit der geballten Kraft ihres politisch motivierten Punkrocks ein Denkmal. Erhältlich zum Nenn-Deinen-Preis-Tarif unter einer »Copyleft Creative Commons«-Lizenz. louislinggandthebombs.bandcamp.com 

 

Kann man ein Downtempo-Album aus nur einem einzigen Sound eines Kometen basteln? Kann man, dachte sich der italienische Produzent Francesco Novara, der mit ein paar Kumpels schon bereits freie Sounds aus dem NASA-Archiv zu einer tollen, experimentell-elektronischen Platte namens »80UA« verrührte. Diesmal remixt und arrangiert er eigentlich unhörbare, aber hörbar gemachte und ebenso freie (=remixfähige) Sounds der Kometenmission Rosetta der Europäischen Weltraumagentur ESA — und zwar zu schön entspanntem und sehr eigen klingendem Elektropop. Offenlegung: Ich arbeite bei ebendieser Weltraumagentur und habe Francesco Novara zu der ganzen Sache angestiftet. Hört und entscheidet selbst, ob Astron (Establishment Records) nicht vielleicht der groovigste Kometensoundtrack aller Zeiten ist. francesconovara.bandcamp.com/ 

 

Nicht zuletzt will ich von Jan Strachs neuestem kakofonischen Streich berichten. Auf »Bjurwa Fantomatyczna« (»Phantomblase«) gewährt er Einblick in eine aufgewühlte, schlaflose Seele, die sich mithilfe von Diktafon-Sampling, Casiosounds (Die Trompeten!), verhallten Gitarren und wirrem Gesang Ausdruck verschafft. Es scheint Teil des Konzepts zu sein, die Hörerschaft mithilfe immer wiederkehrender Dissonanzen und oft scheinbar wahllos geschichteter Spuren auf die Probe zu stellen, nur um dann wieder mit atmosphärisch dichten und äußerst eigenwilligen Arrangements um die Ecke zu kommen. Der Gesang in Jans polnischer Muttersprache macht die Rezeption nicht leichter, dafür aber interessanter. Handgeschriebene Linernotes und Screenshots seiner Audio-Arrangements erklären die Kakofonie. Melodie und Pop seiner letzten Veröffentlichungen hat Strach unwiderruflich geopfert, huldigt dafür aber Soundanar-chie und Dadaismus.
janstrach.bandcamp.com