Pareto im Gewürzboard

Ich krieg nix gebacken. Nicht die Adventsplätzchen, nicht mein Leben. Gesine Stabroth sagt: Zeitmanagement! Ich sag: Quatsch, total spießig! Gesine Stabroth sagt: »Kennste Pareto-Prinzip? Man benötigt nur 20 Prozent der Zeit, um 80 Prozent der Arbeit zu schaffen.« Boah! »Aber für die letzten 20 Prozent, benötigen wir dann 80 Prozent der Zeit.« Hmpf!

 

Man steht also schnell vor dem Ziel, doch um hineinzugelangen, braucht man noch viermal so lange. Ein Faulpelz wie ich fragt da natürlich: Lohnt sich der ganze Brass da noch? Ich brauche eine Stunde um meine Notizzettel zu sortieren, aber nach zwölf  Minuten hab ich schon 80 Prozent geschafft. Die restlichen 20 Prozent würden dann noch 48 Minuten dauern. Ohne mich!

 

Gesine Stabroth sagt, Pareto gebe es überall. Sogar im Gewürzboard von  Oma Porz! In 80 Prozent der Fälle benutze Oma Porz nur 20 Prozent der Gewürze. Synthetisches Urteil a priori! Ich hab’s kon–trolliert: Sternanis, Kerbel, Piment, Knoblauchpulver — alle Deckel angestaubt! Salz und Pfeffer — die Döschen fast leer! Pareto als Weltformel? 20 Prozent eines Teppichs sind von 80 Prozent des Verschleißes betroffen — es sind die Laufwege, Dummerchen! Da bekomme ich Lust, aus Trotz hinterm Sofa auf und ab zu krabbeln, um den Teppich auch dort abzuschubbern.

 

Gesine Stabroth sagt: »Wenn Du mal pareto machtest, also 80 Prozent schafftest, statt 100 Prozent zu versemmeln, dann wärst Du auch mal pünktlich!« Ich will aber nicht pünktlich sein. Pünktlich trifft der Notarzt ein, pünktlich liest der Pfarrer seine Messe. Und pünktlich, wenn die Fußballübertragung beginnt, ruft Oma Porz an. Pünktlichkeit ist okay, glanzvoll ist sie nie. Wer hingegen unpünktlich auf einem Fest eintrifft, kokett um Verzeihung bittet, tolldreiste Lügengeschichten auftischt, was ihn aufgehalten habe — dem fliegen die Herzen zu. Und jeder ist froh, neuen Gesprächsstoff serviert zu bekommen statt lauwarmen Sekt. Wenn ich in meinem Leben nichts gebacken kriege, muss es zumindest ein bisschen glitzern und glänzen.

 

Ich starrte durch mein Fenster auf eine müde Nachmittagssonne im flirrenden Herbstlaub. Ich genoss die 80 Prozent, die ich mir bei irgendwas sparte. So lag ich da, auf meinem Teppich, auf jenen 20 Prozent, wo sich 80 Prozent des Verhunzung versammelt hatten: Laufwege und hartnäckige Reste des beschwipsten Verzehrs von Fischkonserven weit nach Mitternacht vor vielen Jahren. Der Teppich war mir egal, ich starrte in die Luft, und zwar: Löcher. Durch eines dieser Löcher trat ich dann hinein in einen platonischen Zahlenhimmel und schmeckte eine Erkenntnis wie süßen Nektar, kalorienreduziert womöglich, doch mit naturidentischem Ambrosia-Flavor... Heureka! Man muss das Pareto-Prinzip rekursiv auf sich selbst anwenden! Merke: Wenn 20 Prozent reichen, reichen dann nicht folgerichtig auch 20 Prozent dieser 20 Prozent? Also vier Prozent. Damit würde ich dann noch 80 Prozent der 80 Prozent erzielen: satte 64 Prozent! Ich war im Rausch der Rekursionen. Wenn ich Pareto dreimal auf sich selbst anwende — mise en abyme! — schaffe ich mit 0,8 Prozent des Aufwands noch gut die Hälfte, nämlich 51,2 Prozent! Mehr als die halbe Perfektion mit nichts! Da klingelte das Telefon. Nobelpreiskomitee? Nee. Gesine Stabroth wieder. 80 Prozent meiner Anrufe sind Gesine Stabroth. Wo ich verdammt bleibe? Die Party! Unpünktlich traf ich bei Tobse Bongartz’ Karaoke-Fete ein. Niemand außer mir fand das glanzvoll. Banausen! So stand ich rum. Ohne auf die Untertitel zu achten, hätte ich 51,2 Prozent der Pop-Oldies mitsingen können. Aber es wäre würdelos gewesen. Und so gehörte ich zu den 20 Prozent der Gäste, die 80 Prozent des Kühlschrank-Biers wegtranken.