Égalité!

materialien zur Meinungsbildung /// folge 192

Ich kenne einen Zauberspruch. Er macht aus Menschen Monster. Ich sollte vorsichtig sein, aber ich kann nicht davon lassen, denn es ist ein gewöhnlicher Satz, der mir schnell rausrutscht. Ich wusste lange Zeit nicht um seine unbändige Kraft. Nicht jeden Menschen verwandelt der Zauberspruch, aber bei Gesine Stabroth funktioniert er immer. Es sind drei Wörter, aber nicht, was Sie jetzt denken. Der Satz geht so: Ist mir egal.  

 

Dann herrscht erst mal Ruhe. Dann tobt das Inferno. Dabei ging es nur darum, ob ich was beim Italiener oder Vietnamesen bestellen möchte. Oder ob man Tobse Bongartz einen Gutschein für einen Escape Room oder ein Gewürz-Seminar schenken soll. Ja, was weiß denn ich? Für mich ist ein Gewürz-Seminar ein Escape Room.

 

Italiener oder Vietnamese — so etwas ist wirklich egal. Es geht nicht um Auslandseinsätze der Bundeswehr oder darum, wohin sich Gesine Stabroth meinen Namen tätowieren lassen will. Diese Hoffnung habe ich fahren lassen.

 

Ich bin entspannt. Ich meine es gut. Aber nichts darf einem mehr egal sein, immer soll man sich entscheiden. Ich möchte mich bescheiden, mich enthalten. In einer Demokratie erscheint es mir wichtig, nicht nur die Ja- und Nein-Stimmen zu protokollieren, sondern auch die Enthaltungen. Es gibt ein Drittes zwischen Ja-und-Amen und Nein-und-Stinkefinger. Enthaltungen sind doch ein Beitrag zur Sache und etwas anderes, als sich einer Abstimmung zu entziehen. Ich gehe ja nicht raus, wenn Gesine Stabroth fragt, ob ich Nr. 73 oder Nr. 112 bevorzuge. Ich höre mir geduldig das Referat der Zutatenliste an und sage dann: Egal, entscheide du.

 

In der Philosophie gibt es sogenannte Scheinprobleme, es sind Fragen, die zu entscheiden völlig unsinnig ist. Ist Gott Nichtraucher? Ist die Anzahl der Atome eine Prim-zahl? Ist es ästhetisch vertretbar, dass Familie Schröder von neben-an einen welken Schwertfarn im Hausflur aussetzt? Schmeckt 73 oder 112 objektiv besser? Vietnam oder Italien? Die Frage ist falsch gestellt. Was macht mehr satt? Zu allem kann ich eine Meinung haben, aber muss ich? Mich strapaziert das. Es gibt zu viele Optionen. 

 

Wenn Gesine Stabroth einen Kaffee trinken möchte, brühe ich gern einen auf und stelle ihn in der Manier eines Mundschenks bei Hofe vor ihr ab, immer von rechts, immer mit Untertasse, für ein bisschen Sauvoir-vivre ist in der kleinsten Hütte Platz.

 

Aber Gesine Stabroth verlangt, dass ich sie um ihre Meinung bitte. Ich finde diesen partizipativen Ansatz für den Hausgebrauch etwas umständlich. Was soll ich fragen, ob sie Milch möchte, wenn die abgelaufen ist? Also frage ich nach Zucker, ich meine es ja gut. Kommt zur Antwort: Zucker gern, lieber jedoch Stevia, falls nicht vorhanden, ist Kandis unter stillem Protest möglich, anderenfalls eben keinen Zucker, sondern doch Milch, bitte schnell mal am Kiosk kaufen, fettarm, einen halben Zentiliter als Richtwert für die Dosierung, aber nur erwärmt und aufgeschäumt, kleine Bläschen bitte, Crema, falls auch Erwärmung und/oder Schäumung nicht möglich, dann wutschnaubende Erlaubnis, auch Kondensmilch einzuschenken, Bio-Zertifizierung vorausgesetzt, und falls diese Bedingungen sämtlich nicht erfüllt werden können, eben Verzicht auf Kaffee, nicht jedoch auf demonstrativ kopfschüttelnde Invektiven mit der Option eines hastigen Aufbruchs, begleitet von säuselnden Verwünschungen.

 

Wenn man mir einen Kaffee offeriert, stelle ich keine Bedingungen. Ich meine es gut, ich bin entspannt. Ich lasse mich überraschen, falls böse überrascht, so kippe ich ihn unauffällig in den Blumentopf mit dem siechen Schwertfarn von Schröders. Ich vermute, dem Schwertfarn ist es egal.