Dystopien und verschenkte Files

»Bellona, USA« heißt Peter Kirns neuestes Werk, veröffentlicht auf seinem noch jungen Digitallabel Establishment Records. Ich habe hier schon häufig über ihn berichtet, da mich die Stringenz seiner Arbeit über vielerlei künstlerisch-informationelle Ausdrucksformen hinweg fasziniert: Audio, Video, Journalismus, Nutzung sozialer Medien für politischen Aktivismus, gepaart mit einem Hang zum (Retro-)Futurismus — das ist alles ist in sich schlüssig. Kirns neues Album ist ein Techno-Rausch zum Durchtanzen. Konstant hohe beats per minute, repetitiv ohne langatmig zu sein, polyrhythmisch und doch straight, dezent aber doch mit genug Wumms gemastert. Der in Berlin lebende Amerikaner Kirn verleiht dabei des öfteren seiner Fassungslosigkeit über die aktu-ellen Vorgänge in den USA Ausdruck. 

 

»Bellona, USA« ist eine weitere Facette: Inspiriert durch den 1975 erschienenen Science-Fiction-Roman »Dhalgren« von Samuel R. Delany, schickt uns Kirn auf einen zeitlosen Trip durch dystopische Vereinigte Staaten. Die fiktive Stadt Bellona ist stark zerstört: Von Radio, Fernsehen und Telefon abgeschnitten ereignen sich unerklärliche Dinge. Eines Nachts tauchen zwei Monde am Himmel auf, eines anderen Tages erscheint dort eine vielfach vergrößerte rote Sonne, während sich die Zeit zusammenzieht und dehnt. Peter Kirn liefert den Soundtrack zu dieser spukigen Geschichte — und läßt unseren Interpretationen genügend Raum.

 

peterkirn.bandcamp.com

 

 

 

»Polygondwanaland« ist bereits das zwölfte Album der australischen Psych-Progrocker King Gizzard & the Lizard Wizard. Die Musik der siebenköpfigen Band ist cool: authentischer 70er-Sound und ausgefeilte Arrangements, die von Dark- und Stoner-Metal-Elementen bis hin zu Noise, Art Rock und Surf einiges an Referenzen auffahren. Manchmal muss man lachen, und zwar ob des offensichtlich beknackten Bandnamens und der Dreistigkeit, innerhalb von drei Minuten unverschämt von Queens of the Stone Age über Gentle Giant bis hin zu Jethro Tull (die Flöte!) reichlich zu klauen, doch dann stellt man fest: Scheiße, das ist richtig gut.

 

Ob das neueste Werk der spielfreudigen, in Australien bereits bekannten Band mehr als ein Promo-Gag ist, wird sich noch herausstellen. Nachdem die Gizzards ihre bisherigen Alben allesamt traditionell als CD oder Vinyl nebst Download auf Bandcamp unter klassischem »(C) Alle Rechte vorbehalten« rausgebracht haben, gibt es »Polygondwanaland« neben dem Umsonst-mp3-Download als fertiges Vinyl- oder CD-Master. Dazu das Statement: »Dieses Album ist frei. Frei wie in Freiheit. Zum Runterladen, um Cassetten, CDs oder Platten daraus zu machen. Ihr wolltet schon immer Euer eigenes Label starten? Macht es!«

 

Die Gizzards sind auf der Suche nach einer Plattenfirma und probieren mit Chuzpe. Einige Labels haben sich schon gemeldet, und Fans haben ein Crowdfunding gestartet. Wir bleiben dran. 

 

kinggizzardandthelizardwizard.com