Hagazussa

Lukas Feigelfelds Abschlussfilm ist von beeindruckend hypnotischer Kraft

Ohren zuhalten! Gleich brummt’s derbe! Noch vor dem ersten Bild knarrt Lukas Feigelfelds beeindruckendes Langfilm-Debüt »Hagazussa« in den tiefsten Bassfrequenzen und unterzieht damit Kino-Equipment und Publikum einer Belastungsprobe. Indem der Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin dem Ton Vorsprung gibt, präsentiert er zudem sein Programm: Bild und Ton sind in diesem präzise inszenierten Film gleichberechtigt. Hören und Sehen lohnen sich gleichermaßen.

 

Überhaupt rumort es hier in höchsten Höhen aus tiefsten Tiefen: Ort der Handlung sind die österreichischen Alpen, irgendwann im Spätmittelalter. In einer abgeschiedenen Berghütte trotzen eine alte Frau und die junge Albrun den widrigen Umständen. Als die Pest die Frau dahinrafft, ist Albrun auf sich allein gestellt. Einige Jahre später lebt sie selbst mit einem Säugling auf dem Berg — von der Dorfgemeinschaft weiter unten im Tal misstrauisch beäugt und ausgegrenzt. Schließlich kommt es zu einer Vergewaltigung. Und dann zum Äußersten.

 

»Hagazussa«, das ist das althochdeutsche Wort für Hexe. Feigelfeld arbeitet zwar mit Motiven des Hexenfilms, streift auch den okkulten Horrorfilm der 70er Jahre und geht mit der grandiosen Hauptdarstellerin Aleksandra Cwen durch Strapazen wie einst Isabelle Adjani in Andrzej Żuławskis »Possession« (1981) — doch vermengt Feigelfeld diesen Fundus mit der ästhetischen Sensibilität und Souveränität des avancierten Autorenfilms der Gegenwart: Sein Film ist spröde, archaisch und von einer atemberaubend hypnotischen Kraft und atmosphärischen Dichte — bemerkenswert für einen Film, der wie in Zeitlupe unter weitgehendem Verzicht von Dialogen erzählt ist.

 

»Hagazussa« bietet eine Vielzahl beeindruckender Panoramen. Licht und Schatten sind genau gesetzt, dazu kommt ein gesteigertes Interesse an Haptik und Kreatürlichkeit: Mit Tiergedärmen ist jederzeit zu rechnen, ebenso mit toten Ratten, auf die noch uriniert wird. Ein Splatterfilm ist »Hagazussa« dennoch nicht. Hier wird vielmehr eine Traditionslinie aus den 70er Jahren aufgegriffen, als der Horrorfilm für einige Jahre sehr erwachsen war und das Bündnis mit der Filmkunst suchte. »Hagezussa« zeigt, wie diese Allianz heute aussehen könnte — ein Gewinn für die Filmkunst und eine Belebung des Genres. Dass Feigelfeld viele weitere Filme drehen wird, ist unbedingt zu wünschen.

 

Hagazussa. D 2018, R: Lukas Feigelfeld, D: Aleksandra Cwen, Celina Peter,
Claudia Martini, 102 Min.