Die satte Erde des Königsforstes

Der Kölner Techno-Heroe Wolfgang Voigt wird mit GAS auf dem

»Acht Brücken«-Festival gefeiert

Von allen Wäldern Kölns ist der Königsforst der berühmteste. Kölner kennen ihn durch die KVB-Linie 9, im Rest der Welt hat ihn jedoch der Elektronik-Produzent Wolfgang Voigt bekannt gemacht. »Als ich aufgewachsen bin, konnte ich den Königsforst mit dem Fahrrad erreichen«, erzählt Voigt im Gespräch, der im Rechtsrheinischen geboren wurde und seitdem immer in Köln gewohnt hat. »Als Künstler und als Heranwachsender war der Wald für mich eine andere Welt: ein Ort des Eskapismus, wo die künstlerischen Phantasien angeregt werden. Ob das in der Kindheit ist, wo man durch den Wald streift, oder später als Jugendlicher psychedelische Erfahrungen macht, indem man sich vom Elternhaus abnabelt: Das alles hat eine Rolle für GAS gespielt.«

 

GAS ist eins der unzähligen Pseudonyme von Wolfgang Voigt. Erstmals benutzt hat er es Ende der 90er Jahre für eine Reihe von Am--bient-Alben auf dem Frankfurter Label Mille Plateaux. Das bekannteste von ihnen heißt »Königsforst«, eine Collage aus verfremdeten Samples, die von goldgefärbten, leicht unscharfen Fotos von Baumzweigen und Unterholz geziert wurden. »Meine Sicht auf den Wald ist sicherlich die von Andy Warhol und seinen Campbell-Suppendosen«, erzählt Voigt. »Für mich ist das künstlerisches Material, gleichwohl es mich völlig unironisch und unzweideutig berührt.« 

 

Im vergangenen Jahr hat er GAS mit dem Album »Narkopop« wiederbelebt, das im Mai mit »Rausch« seine Fortsetzung erfährt. Es ist ein mäanderndes Gebilde, eine 60-minütige Collage aus gestreckten und gestauchten Synthesizerflächen. »Rausch« spielt mit einer Dialektik aus Formbewusstsein und Kontrollverlust. Immer wenn man sich ganz dem betörenden Dröhnen hingeben will, werden eine Bass-drum oder das gedehnte Zischeln einzelner Hi-Hats eingeblendet, die das verlorene Selbst wieder auf Spur bringen. 

 

»Ich versuche einerseits eine Sicht aus der Kunstgeschichte auf ein Thema zu entlarven, die mir allzu selbstverliebt romantisch verzückt ist und die damit verbundene emotionale Tiefe in Frage zu stellen«, erläutert Voigt die Intention hinter GAS. »Im gleichen Moment will ich auch eine emotionale Tiefe herstellen, aber meine eigene. GAS handelt sehr viel von der Gleichzeitigkeit von Widersprüchen: von nah und fern, von düster und schön, von wahr und unwahr, von abstrakt und konkret. Und dabei entsteht im Idealfall auch eine Form von Emotionalität.«

 

Begleitet wird die Musik von einem Gedicht von Wolfgang Voigt: »Rausch ohne Namen/Mein schöner Schein/Du bist die Sonne/Hier will ich sein«. Voigt zitiert in diesem Text nicht nur Beethoven und Depeche Mode, sondern auch eine alte Leidenschaft: deutsche Schlagersänger wie Roy Black. »Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, fuhren wir mit dem Auto in Urlaub, und es lief Roy Blacks Du bist nicht allein im Radio«, erzählt er. »Ich war kurz vor der Einschulung und dachte: Das ist eine gute Nachricht, dass ich nicht allein bin!« 

 

Anders als bei frühen Veröffentlichungen Voigts, etwa dem Techno-Projekt Mike Inc., steht das Zitieren aber nicht im Vordergrund von GAS. »Ich habe irgendwann aufgehört, Samplingquellen zu benennen«, erzählt Voigt, der auf den ersten GAS-Veröffentlichungen viele deutsche Orchesterwerke, etwa von Richard Wagner verarbeitet hat, wodurch er im Verdacht stand, eine neue, elektronische Form des ästhetischen Nationalismus zu formulieren. »Die Leute bewerten das über. Das Interessante an GAS ist nicht Wagner, -sondern GAS. Ich bastele mit dem -Ausgangsmaterial ein eigenes Szenario — als würde ich eine Farbpalette anrühren, mit der ich dann ein Bild male.« Sampling wird so zu einer Technik der Verfremdung, die neue Kontexte erschließt. »Durch Sampling entstehen neue Welten, die für mich Freiheit bedeuten. Deshalb bleibt es für mich die ultimative Technik.«

 

Veröffentlicht wird »Rausch« auf Kompakt, dem Label, das Voigt gemeinsam mit Michael Mayer, Jochen Paape und seinem Bruder Reinhard gegründet hat. »Kompakt ist für mich gelebte Selbstverwirklichung. Leben und Arbeiten unter einem Dach wie in Warhols Factory, ist immer meine Idee gewesen«, sagt Voigt, der über dem Kompakt-Hauptquartier an der Weserstraße wohnt. Dort haben nicht nur das Label, der Plattenladen und die Booking Agentur ihr Zuhause, im Untergeschoss sind auch auch die Studios der Kompakt-Eigentümer untergebracht. »Je weniger Leute dir wirtschaftlich oder inhaltlich erklären, wie deine Musik oder deine Kunst zu funktionieren hat, je besser ist das — für dich, für die Kunst, für alle Beteiligten«, meint Voigt. »Von daher war es konsequent zu sagen: Wir machen das selbst, das befreit uns und damit die Kunst.«

 

Dieses Jahr feiert Kompakt seinen 25. Geburtstag und Labelgründer Voigt macht dem Label ein Geburtstagsgeschenk: Im Rahmen des Acht-Brücken-Festivals tritt er mit GAS live auf — zum ersten Mal seit 2009. Damals feierte GAS seine Kölner Premiere während der c/o pop im großen Saal des Cinedoms. Auf der Leinwand flossen die Herbstfarben ineinander und wurden zu einem psychedelischen Gewächs aus Blatt- und Wurzelwerk. Nur das Soundsystem des Kinosaals war auf die Nuancen von Voigts Soundcollagen etwas unzulänglich eingestellt. Das wird diesmal nicht passieren. Voigt stellt seinen Laptop dort auf, wo der Klang in Köln am besten ist: in der Philharmonie. 

 

 

Tonträger: GAS, »Rausch«, erscheint am 18.5. auf Kompakt.