Hell gestimmte Tagträume

Auch 2018 noch definieren Yo La Tengo, was »Indie« ist

»Wer Yo La Tengo nicht liebt, der hat kein Herz«, meinte mein Nachbar, als ich ihn auf der Straße traf und auf das anstehende Konzert der Band in Köln ansprach. Yo La Tengo ist in der Tat ein e Herzensangelegenheit: ein Kleinstkollektiv, das die Utopie einer besseren Welt hoch hält, im Kern das Paar Georgia Hubley (Schlagzeug) und Ira Kaplan (Gitarre), James McNew ist offizieller Zählung nach die Nr. 4 in der Bassisten-Ahnen-Galerie (aber auch schon seit Anfang der 90er Jahre dabei). Zu Beginn der 80er lernten sich Hubley und Kaplan in New Yorks Plattenläden kennen, sie entwarf Konzertplakate, er buchte Bands und schrieb über Musik. 1985 nahmen sie die erste Single als Yo La Tengo auf, der Rest ist Geschichte.

 

Auf dem neuen Album »There‘s A Riot Goin‘ On« wird der hypnagogische Wärmestrom ihrer intimen Musik mit einem simplen Kniff politisch aufgeladen. Denn genau so hieß auch das alptraumeske Anti-Establishment-Großwerk von Sly Stone aus dem Jahr 1971 — wer diesen Titel zitiert, führt etwas im Schilde.

 

Yo La Tengo nehmen in ihrem Titel nicht nur die Abbreviatur zurück, auch sonst folgt ihr »There‘s A Riot Going On« einer komplett anderen Logik. Ihr Album funktioniert wie ein hell gestimmter Tagtraum. Und dieser Tagtraum gebiert einige der besten Stücke ihrer Karriere. Allen voran »For You Too«: Das Stück bohrt sich sofort mit McNews Fuzz-Basshook in die Membran, ein Drumcomputer gibt den Upbeat vor, Hubley umspielt ihn im Körpertakt und Kaplan malt mit seiner Gitarre Haiku-artige Figuren, die den Raum weit aufziehen. Darüber singt Kaplan Kryptisches von einem lyrischen Ich, eher einem kollektiven Wir, das sich nicht im Griff hat, sich aber bessern will. »Above The Sound« basiert auf einem Spiritual-Jazz-Loop, »Polynesia #1« ist ein Cover von Country-Folk-Kauz Michael Hurley, und in »Shades Of Blue« singt Hubley über eine Ragtime-artige Klaviermelodie von Verlustängsten.

 

Durch all diese Songs scheint die Sonne eines lange vergangenen Sommers, in dem die Dinge noch an ihrem Platz schienen. Eine kindliche Fiktion, von der man noch als Erwachsener zehrt. Yo La Tengo beschwören in ihrer Musik einen Möglichkeitssinn, ohne Nachdruck, aber auch ohne Unterlass, der den meisten Menschen abhanden gekommen ist. Sie sind ein Geschenk: Yo la Tengo halten den Sinn dafür wach, dass alles besser sein könnte, als es ist. 

 

Tonträger: »There‘s A Riot Going On« (Matador/Beggars Group/Indigo)