Radikalität neu definiert

Dora Cohnen hat an der KHM die Antrittsvorlesung des neuen

Professoren-Duos Hans Bernhard & Liz Haas besucht

 

 

»Es könnte total scheiße werden. Es könnte total moralisch und mühsam werden. Mit dem Text bin ich nicht so zufrieden, die Präsentation ist okay«, vertraut Hans Bernhard den Studierenden in der ersten Sitzung des Seminars an. Es geht seiner Antrittsvorlesung voraus, denn ab dem Sommersemester 2018 lehrt er mit seiner Partnerin Liz Haas als Professorenduo »Angewandte Radikalität im Netz« an der Kunsthochschule für Medien (KHM). Sie präsentieren sich schlecht gelaunt, überraschen einen mit ihren ganz anderen Vorstellungen von Arbeit und Kunst. Sie wollen nicht jedem gefallen, ecken an. 

 

Die Präsentation der Antrittsvorlesung am Nachmittag ist schei-ße, der Text gut. Mit dem knalligen Pop-Art-Comic-Design entzieht sich die Präsentation der zeitgenössischen Post-Internet-Ästhetik und der grafischen Gestaltungsmittel der Netzkunst der 90er Jahre. Deren Stigmata zwingen das künstlerische Schaffen von Bernhard und Haas immer wieder zur Positionierung. Schick sieht es jedoch nicht aus. »Silicon Valley! Alt-Right Accelerationism! Libertäre Blockchain Pyramiden! Binary Primitivism! Ästhetik! […] Koordinatensysteme im Raum-Zeit-Gefüge der DMZ in Korea! Geheime Data-Vaults in hochalpinen Militäranlagen der Schweiz! […] und the usual ROFLWTF«, so schreien einen die Plakate an, die rund um die Aula der Kunsthochschule die neue Professur ankündigen und uns einen ersten Einblick in die Themen geben. Hans Bernhard leitet im selben Ton seinen Vortrag ein. »Niemals Orwell, sondern immer Huxley. Es werden uns Informationen nicht vorenthalten, im Gegenteil: Wir bekommen so viel davon, dass wir in passiver Selbstbezogenheit in einem Universum aus Irrelevanz und Trivialität langsam ersaufen. […] Die Welt ist ein großes Schokoladenmuseum. Die rohe Dialektik fehlt.« Scharf verortet Bernhard unsere Welt in einer Dystopie, hypnotisiert uns mit seinen Umschreibungen. Dann wird man wieder zu-ge-ballert mit Begriffen und Ideen, absolut nah am Zeitgeschehen — nerdig, intensiv und polemisch. Bernhard drückt auf die Play-Taste: »Wop Pow!« Laute Musik ertönt, und ein Flug-zeugträger erscheint auf der Projektionsfläche. Pink, grün, blau, verstörend, und die Professoren nicken zum Beat. Sie sind sich genau bewusst, welche Wirkung sie erzeu-gen. »African pirates always wear fashionable bright colors and they do real shootings so it’s more fashio-nable« bleibt als einer der projizierten Wortfetzen im Raum stehen, bevor das Video mittendrin abgebrochen wird. 

 

Hans Bernhard und Liz Haas stellen Forderungen. Die Hochschule müsse die Studierenden schützen und ihre Experimente absichern: »Fuck Copyright, Fuck the Law, Fuck Privacy.« Auch gegen Gesetzgeber, Moral und den gesellschaft-lichen Konsens. Wirtschaftsuniversitäten arbeiten we-sentlich besser, meinen sie. Effektiv werde von »neoliberalen Idioten« die Welt verändert, während an Kunsthochschulen Feigheit und Angst herrsche. Die Ideen der beiden Professoren sind radikal. Sie polarisieren und provo-zieren, begeistern und spalten. Bernhard und Haas stechen in unsere Blase aus Moralvorstellungen, und das tut weh. Sind ihre Umschreibungen überzogen oder doch präzise? Blenden wir Fakten vielleicht einfach nur aus? Man stößt an seine Grenzen. 

 

In ihrer Definition von Radikalität gehen die beiden Professoren vom lateinische Begriff »radix« aus, der für Wurzel steht. Man solle Probleme bei der Wurzel packen und also umfassend und nachhaltig lösen. Bliebe man bei der Wurzel, würde es fundamentalistisch sein, erklärt Bernhard. Es werde nicht das Extreme angestrebt. »Es geht darum, eine eigene Radikalität zu finden. Man kann schnell mal radikal sein, hier gilt es, Radikalität als Arbeitstechnik zu erarbeiten«, fügt Liz Haas hinzu. Das Experiment steht im Vordergrund und wie an Wirtschaftsunis soll ernste Grundlagenforschung betrieben werden. In der Bejahung von Affirmation sehen sie eine durchaus subversive Kraft. Prozesse sollen ange-stoßen werden. 

 

Mit UBERMORGEN waren Hans Bernhard und Liz Haas Teil der digitalen Avantgarde in den 90er Jahren. Mit Projekten wie »Google Will Eat Itself« (2005) und »Vote-auction« (2000) haben sie Schlagzeilen ge-macht. Beim ersten haben sie mit den Einnahmen von Google Advertisments auf von ihnen erstellten Websites mithilfe eines Programms umgehend Google-Aktien gekauft. Mit dem von Google selbst generier-ten Geld hätte es 202.345.117 Jahre gedauert, bis es sich selbst aufgekauft hätte. Beim 2000er-Projekt wurde eine Plattform geboten, um Stimmen US-amerikanischer Bürger bei den US-Wahlen 2000 an den höchsten Bieter zu verkaufen. 

 

»Die Zeit der Netzkunst ist definitiv komplett vorbei«, erklären die Professoren und es klingt, als ob sie sich in ihrer Professur rechtfertigen müs-sen. Aber dazu gibt es gar keinen Grund: »Ihr StudentInnen habt die interessantesten Felder und Räume zu erforschen. Also hört auf, langwei-lige Filme zu machen. Wir leben in einer dermaßen aufregenden und re-volutionären Zeit. Die Welt ist drau-ßen und sie ist jetzt. Jetzt ist der Mo-ment da, sich in die Wellen zu stür-zen und sich bereit zu machen, die nächste große Welle mitzunehmen.«