Eine schöne Komposition: Musikhochschule im Kunibertsviertel, Foto: Marcel Wurm

Demokratischer Brutalismus

Am »Tag des offenen Denkmals« können Beton­bauten der 60er und 70er Jahre besichtigt werden

 

Denkmalschutz und Architektur verhalten sich zueinander wie Hase und Igel beim Wettrennen. Mit Riesenschritten sind die Denkmalschützer bereits durch die vergangenen Jahrhunderte gepflügt. Von der Antike bis in die 50er Jahre ist alles abgearbeitet. Die Architekten müssen sich also schon ziemlich ranhalten. Den heißen Atem des Denkmalschutzes haben sie schon im Nacken. In den Fokus gerückt sind inzwischen nämlich die brutalistischen Betonbauten der 60er und 70er Jahre. Gut zu erkennen ist das am diesjährigen Programm zum »Tag des offenen Denkmals«.

 

Besichtigt werden können neben dem Römisch-Germanischen Museum oder dem Ostasiatischen Museum auch die Hochschule für Musik und Tanz im Kunibertsviertel und die Kirche St. Gertrud an der Krefelder Straße. Beides sind Bauten, die die These von den brutalistischen Solitären, die abweisend und trotzig in der Stadt stehen, vorbildlich widerlegen. Die Hochschule für Musik und Tanz und auch St. Gertrud passen sich kongenial in ihr bauliches Umfeld ein — was bei Kölner Großprojekten derzeit nicht gerade die Regel ist.

 

St. Gertrud wurde von 1962 bis 1965 nach Plänen von Gottfried Böhm in einer nur 62 Meter breiten Baulücke zwischen zwei Wohnhäusern errichtet. Brutalistische Erkennungszeichen: die skulpturale Gestaltung und die unverputzten rohen Betonwände. Trotz des verwinkelten Grundrisses ist Böhm ein faszinierender Entwurf gelungen. Die drei Kapellenanbauten mit spitzen Giebeln und der schlanke 40 Meter hohe Kirchturm mit seinem jecken Zipfelmützendach rhythmisieren die Fassade zur Krefelder Straße. Im Innern gehen die Wände direkt ins gefaltete Dach über und formen einen höhlenartigen Raum. Nach zwei Gemeindefusionen wird St. Gertrud inzwischen nicht mehr als Kirche genutzt, sondern dient als Ort des Dialogs mit der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Birgit Caspers vom Förderverein St. Agnes führt durch den sehenswerten Bau. Außerdem wird Paul Böhm, der Sohn des Architekten, bei einer Podiumsdiskussion zur Eröffnung der Ausstellung -»Kirche und Stadt« sprechen.

 

Auch die Hochschule für Musik und Tanz im Kunibertsviertel ist ein typisches Kind ihrer Zeit. Es dominieren roher Sichtbeton und eine skulptural bewegte Form, doch mit einer völlig anderen Funktion. Die jungen Architekturbüros unter dem Namen »Werkraum7« und Bauturm hatten einen gesamten Block zu bebauen, der verblüffenderweise die Kleinteiligkeit des Kunibertviertels aufnimmt, ohne sich zu verleugnen. »Die Musikhochschule ist einerseits ein baukünstlerisch gestaltetes Objekt, zugleich kommuniziert sie auf allen vier Seiten mit dem Quartier«, sagt Martin Bredenbeck vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege, der im Rahmen seines Jahresthemas »Brutalismus in Köln« Führungen am Tag des offenen Denkmals anbietet. Jede der vier Seiten sieht anders aus: Im Westen ragen vier kopfüber gestürzte T-Stücke der Überräume und ein gezackter Fenstertrakt aus der Wandfläche. Ein Kolonnadengang prägt die Ostseite zum Marienhospital. Nord- und Südseite bieten unterschiedliche Zugangs- und Zufahrtslösungen. Es gibt nicht viele Bauten, die ästhetisch und politisch den Geist der 70er Jahre derart deutlich spiegeln. Unverkennbar sind Anregungen aus der Pop-Art im lustvollen Spiel mit Farben zu erkennen. Vor allem aber im Innern lässt sich an der 1977 eröffneten Musikhochschule das demokratische Ethos der jungen Architekten (unter ihnen Peter Busmann und Erich Schneider-Wesseling) ablesen: Das offene Foyer ist nicht nur von außen einsehbar, sondern lässt auch einen Blick in den zentralen Musiksaal zu. Transparenz ist hier nicht Pflicht, sondern Programm. Und auch die fließenden Raumfolgen mit geschützten Kojen, Rückzugsräumen und öffentlichen Flächen machen das zeittypische Ideal der Kommunikation als Mittel gesellschaftlicher Verständigung unmittelbar erfahrbar. Man darf gespannt sein, ob der geplante Erweiterungsbau der Hochschule auch nur annähernd so offen und demokratisch in Proportion und Maßstäblichkeit ausfällt. 

 

offenesdenkmal.de