»Kindertheater ist Kunst und nicht die rote Nase«

Für das Kinder- und Jugendensemble »Pulk Fiktion«

ist Köln nun künstlerische Heimat

Für das Theater ist es durchaus von Gewinn, die Sicht der Kinder einzunehmen, ihre Welteroberung zu erkunden. Phantasie hat etwas mit Naivität zu tun: Fragen zu stellen, ohne bereits vom Wissen verdorben zu sein. Aber funktioniert das: die Wahrheit — oder was man dafür hält — zu erkunden und trotzdem in die Tiefe zu gehen? Ja. Man nehme eine preisgekrönte Theatergruppe wie Pulk Fiktion (beides deutsch ausgesprochen). Die Theaterleute interpretieren nicht, was Kinder und Jugendliche interessiert, sondern verhandeln mit ihnen gemeinsam ihre Themen und die eigenen Biografien. Ein Gespräch mit Regisseurin und Kopf der Gruppe, der Regisseurin Hannah Biedermann. 

 

 

Mit der Gruppe Pulk Fiktion arbeiten Sie in unterschiedlichen Konstellationen und machen Produktionen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Seit wann gibt es die Gruppe?

 


Gegründet haben wir uns 2007 über den Jugendclub des -Theater Marabu in Bonn. Da gab es einen experimentellen Platz für Regie, wo man sich ausprobieren konnte. Zu dem Zeitpunkt haben wir alle aber noch studiert: Eva von Schweinitz Drehbuch in Köln, Manuela Neudegger in Lingen -Theaterpädagogik und ich Szenische Künste in Hildesheim. Das ist unter anderem der feste Kern unserer Gruppe. Organisatorisch leite ich die Gruppe mit Norman Grotegut. 

 

 

Ihre erste Produktion hieß »Ein Stück Autokino« und war als Kinder- und Jugendtheaterstück angelegt. War das bewusst gewählt?

 


In erster Linie sind wir einfach unserem eigenen Inderesse gefolgt. Es ging darum, dass wir uns selbst gefragt haben, warum ist unser Leben nicht so toll wie in den Filmen. Das Thema haben wir dann als Roadmovie auf die Bühne ge-bracht. Erst im Nachhinein haben wir festgestellt, dass diese Auseinandersetzung mit einem Leben in einer medialisierten Welt sich beson-ders für Jugendliche Zu-schau-er*in-nen eignet. und von da an eigentlich immer medienreflexiv gearbeitet, inhaltlich, aber auch ästhetisch — mit Videos, die in unseren Arbeiten immer live hergestellt werden. 

 

 

Sie sind dem Kinder- und Jugendtheater treu geblieben. Haben Sie mehr Möglichkeiten, weil die Formen nicht so festgelegt sind und es kein Abo-Publikum gibt?

 


Kinder- und Jugendtheater muss sich immer vor dem »richtigen« Erwachsenentheater rechtfertigen. Man muss das immer wieder reproduzieren, dass es Kunst ist und nicht die rote Nase. Experimenteller, im Sinne von freier, ist es nicht, weil man auf der anderen Seite eine Art von Einschränkung hat: Wir müssen Schulklassen bedienen. Als freie Gruppe sind wir darauf angewiesen, dass uns Veran-stal-ter*in-nen buchen, und da stellen wir schon fest, dass wir weniger gebucht werden als Gruppen, die zum Beispiel eine Narration in ihren Stücken haben. Wir wollen aber offenere und interaktive Formen im Kinder- und Jugendtheater vorantreiben und etablieren. 

 

 

Also keine Märchen?

 


Nein. Wir entwickeln Stücke selbst und geben ihnen unbekannte Namen (lacht).

 

 

Wie jetzt bei »Trollwut — Wenn Meinungen ansteckend sind«. Ein Stück, dass jetzt im FWT zur Uraufführung kommt.

 


Ja. Es gibt diese Online-Welt, die offenbar direkte und große Gefühle zu entfesseln vermag und gleichzeitig für eine Informationsgesellschaft steht, wo alle alles wissen können. Aber auch alle alles schreiben dürfen. Es ist ein Massenphänomen. Das Thema schien uns dringlich.

 

 

Wie gehen Sie dann vor?

 


Wenn wir eine Idee haben, die uns dringlich scheint, steigen wir immer tiefer in die Materie ein. Vorab lesen wir viel. Für »Trollwut« haben wir jetzt über Algorithmen, philosophische Texte über Wahrheit und Lüge, Thesen über den Wahlkampf in den USA oder Analysen über den Hass in den Kommentaren gelesen. Dabei sammeln wir auch schon früh szenische Ideen, um uns nicht in so einem wissenschaftlichen Lecture-Theater zu verfransen. 

 

 

Was wird die Essenz sein?

 


Aus diesen großen Emotionen aus dem Netz wollen wir ein Musical ma-chen, nicht im klassischen Sinn, aber wir wollen diese schillernde oberflächliche Form des Genres nutzen. In Musik lassen sich Gefühle sehr gut verhandeln. Dann gibt es natürlich dieses Mitmach-Element, das Mitklatschen, den bekannten Text mitsummen oder mitsingen. Also eine analoge Form der Manipulation. All diese Mechanismen des Musicals wollen wir mit der Online-Welt verknüpfen. 

 

 

Haben Sie wieder Interviews mit Jugendlichen geführt?

 


Ja. Die Interviews mit Jugendlichen werden mit in die Songs einfließen. Das ist uns immer wichtig, mit deren Erfahrungen und unseren eigenen in der Stückentwicklung zu arbeiten.  

 

 

Es ist Ihr drittes Stück im FWT. Sie haben sich jetzt sogar in Köln niedergelassen. Wie kam es dazu?

 


NRW ist ein künstlerisch hochwertiges Land mit vielen Auftrittsmöglichkeiten für Kinder- und Jugendtheater. Uns hat  irgendwann das Pendeln genervt. Ich musste zum Beispiel immer aus Berlin anreisen. Dann hat sich für mich eine Stelle als Dramaturgin an der Comedia ergeben. Da war klar, dass ich nach Köln ziehe. Norman lebt jetzt auch in Köln. Das ist das erste Mal in der Geschichte von Pulk Fiktion, dass tatsächlich zwei Mitglieder am selben Ort leben. Ich finde es an der Zeit, der Gruppe jetzt auch mal vor Ort ein Zuhause zu geben. 

 

 

Das heißt, Sie bezeichnen sich jetzt als Kölner Gruppe?

 


Ja. Wir haben eine vierjährige Förderung der Stadt Köln bis zum Jahr 2022 bekommen, dass heißt wir planen langfristig, unsere Stücke hier zu entwickeln und zu spielen. Wir wollen künstlerisch in die Strukturen hier in Köln investieren.