Auf einen Klick

Köln ist Fotostadt. Bei der Photokina werden die neuesten Kameras vorgestellt, bei der Photoszene die interessantesten Bilder. Leonie Pfennig hat sich hinter die Objektive begeben und erzählt, wie die Fotografie in Köln eine Heimat fand und wer die interessantesten Fotografen der Stadt sind

Als der Publizist Leo Fritz Gruber 1951 die Fotografie zur »Sprache der Welt« erklärte, ahnte er wohl nicht, wie sich diese Sprache über die nächsten Jahrzehnte entwickeln würde, wer sie sprechen, verbreiten und lehren würde, wie viele Billionen Fotos jeden Tag auf der Welt aufgenommen und über damals unbekannte digitale Kanäle geteilt werden würden. Vermutlich ahnte er auch nicht, welchen Einfluss die Fotografie auf seine Heimatstadt Köln nehmen würde, als er 1950 als künstlerischer Berater bei der Photokina, der ersten internationalen Messe für Fotografie und Fototechnik, einstieg. Dort hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, eine breite Öffentlichkeit für die Fotografie zu begeistern. Dies gelang ihm besonders mit den »Bilderschauen«, groß angelegten Ausstellungen, in denen er die technischen Innovationen den kulturellen Leistungen des Mediums gegenüberstellte, anhand von Einzelschauen namhafter Fotografen der Gegenwart oder thematischen Ausstellungen zu zeitgenössischen Tendenzen in der Fotografie. Bis in die 80er Jahre fanden diese auf der Messe und später in der Josef-Haubrich-Kunsthalle statt. »Das war ein gigantisches Spektakel. Mit riesigen Dias und Leuchtkästen wurden Rundumschauen inszeniert, von denen man heute noch spricht«, erzählt Miriam Halwani, die seit fünf Jahren die Fotosammlung des Museum Ludwig leitet und zu diesen Bilderschauen forscht. 

 

 »Mr. Photokina«, wie Leo Fritz Gruber gerne genannt wird, trägt eine nicht zu unterschätzende Verantwortung für den guten Ruf der Fotostadt Köln. Er war ständig auf Reisen im Namen der Fotografie. Bei ihm und seiner Frau Renate in Köln-Lindenthal gingen heute weltberühmte Fotografen ein und aus. Henri Cartier-Bresson lernte dort den Kölner Nachkriegschronisten Heinz Held kennen, mit Man Ray, Ansel Adams, Chargesheimer und Irving Penn waren die Grubers eng befreundet. »Gruber war ein Netzwerker, Kenner und Pionier. Er hat die Grundlage für eine Fotosammlung gelegt, als andere Museen noch gar nicht darüber nachdachten, Fotografie als künstlerisches Medium zu sammeln,« so Halwani. Die Sammlung Gruber war in den 70er Jahren der Grundstein für die Fotosammlung des Museum Ludwig, über 3.500 Blätter befinden sich als Konvolut in der Obhut des Museums, ein Who‘s who der internationalen Fotografie. 

 

Dass Gruber der erste war, der internationale Stars wie Irving Penn (1954), Erich Salomon oder Ansel Adams (1956) und Sammlungen aus internationalen Häusern wie dem New Yorker MoMA nach Deutschland holte — im Rahmen einer Verkaufsmesse, nicht an eine Kunst-Institution — sagt viel darüber aus, wie die Fotografie nach Köln kam, oder die Kölner zur Fotografie. »Die Fotografie war in der Öffentlichkeit sehr präsent. Von hier aus konnte die Technik in die Welt gehen«, sagt Miriam Halwani vom Museum Ludwig. »Das hat Köln anderen Städten voraus, die Fotografie hat hier von Anfang an eine breite Masse angesprochen.« In Köln bildete sich früh ein Fundament für eine breite Auseinandersetzung mit Fotografie, durch die Kunst genauso wie durch Industrie und Wissenschaft, als Handwerk und als beliebtes Hobby für Amateurfotografen, auch wegen ihres Lieblingsmotivs: dem Dom. 

 

An der Uni Köln ist heute ein Lehrstuhl für Fotogeschichte und -theorie angesiedelt, neben dem Museum Ludwig beherbergen MAKK, Stadtmuseum und Rautenstrauch-Joest-Museum wichtige fotografische Sammlungen. Hinzu kommt die Photographische Sammlung/ SK Stiftung Kultur, die den gesamten Nachlass von August Sander verwaltet — über 10.000 Negative und 3.500 Originalabzüge. Seit kurzem liegt dort auch der Nachlass des wichtigen Düsseldorfer Fotografenpaars Bernd und Hilla Becher, die mit ihren strengen Serien von Fachwerkhäusern und Industriebauten Fotogeschichte schrieben. Seit 1951 hat die Deutsche Gesellschaft für Photographie ihren Standort in Köln. 

 

Vielleicht liegt hier der Schlüssel, wenn man die Fotoszene in Köln definieren möchte. Anders als Düsseldorf oder Essen hat Köln keine lange Tradition der Fotografenausbildung oder der akademischen Lehre, es gibt keine »Kölner Fotoschule« wie in Düsseldorf und kein Fotomuseum. Die Fotografie ist aber viel selbstverständlicher im Alltag der Stadt präsent. Thomas Zander, der sich mit seiner Galerie seit 1996 für die Vermittlung von Fotografie als Kunst einsetzt, ist eine feste Größe. Markus Schaden gründete 1998 seine auf Fotografie spezialisierte Buchhandlung in Köln, die weit über die Stadt hinaus bekannt ist. 2014 hat er das weltweit erste Museum für Fotobücher ins Leben gerufen und seine Sammlung an Fotobüchern in Irland, Norwegen und Polen ausgestellt. Jetzt sucht er einen langfristigen Standort für sein Museum. Berühmte Künstler wie Candida Höfer, eine Schülerin der Bechers, die überall auf der Welt in strenger Komposition leere Opernhäuser, Theater und Museen fotografiert, und Gerhard Richter leben hier genauso wie etliche junge Nachwuchsfotografen, die an den Fotoschulen in Dortmund und Essen studiert haben, aber in Köln Plattformen für Ausstellungen und ihren Kundenstamm finden. An der KHM wird die künstlerische Fotografie nicht isoliert, sondern als Teil der medialen Künste gelehrt. Dort unterrichten zeitgenössische Fotokünstler wie Beate Gütschow, die mit ihren digital manipulierten Bildern moderner Architektur einen neuen Typus des Landschaftsbilds geschaffen hat, der Kölner Architekturfotograf und Becher-Schüler Boris Becker oder Jürgen Klauke, der als einer der ersten Künstler in Deutschland die Fotografie als Ausdrucksmittel nutzte und für seine exzentrischen Körperinszenierungen einsetzte.

 

Um all diese Aktivitäten zusammenzuführen, wurde 1984 die »Internationale Photoszene« gegründet. Parallel zur Photokina bündelt die Initiative Ausstellungen, Portfolio-Reviews, öffentliche Veranstaltungen und einen Katalog zum Medium Fotografie. 2013, als die Verbreitung von Fotografie sich längst mehr und mehr in sozialen Netzwerken abspielte, übernahm ein neues, junges Team die damals eingeschlafene »Photoszene«, um der Fotostadt Köln neuen Atem einzuhauchen. »Das Festival ist die Quintessenz von dem, was wir das ganze Jahr über tun. Wir versuchen permanent, alle Akteure der Fotografie miteinander zu verbinden« erklärt Heide Häusler, seit 2013 Leiterin des Festivals. Vom 21. bis 30. September zeigt sich das ganze Spektrum der Fotografie in Köln. Über 80 Ausstellungen zur Fotografie sind über die Stadt verteilt, in großen Museen ebenso wie in Ateliers, Projekträumen und Galerien. Miriam Halwani vom Museum Ludwig nennt die Photoszene »die Eingangstür zu einem riesigen Fotomuseum«. In dem werden Vintage-Prints von August Sander, Motive von Köln durch die Wirtschafstwunderlinse von Karl Hugo Schmölz oder amerikanischen Pin-Up-Girls von Peter Gowland neben den Abschlussarbeiten von jungen Kunsthochschulabsolventen aus dem Rheinland wie Aurel Dahlgrün oder Lucia Tollens präsentiert. Ein großer Wurf ist den Photoszene-Machern mit dem neuen Residency-Programm »Artist meets Archive« gelungen. Sechs internationale Künstlerinnen und Künstler wurden eingeladen, sich in den Archiven sechs großer Kölner Häuser auszutoben. »Unser Ziel ist es, die Institutionen in Köln zu verbinden — über die Fotografie«, beschreibt Photoszene-Leiterin Heide Häusler das Projekt. Besonders spannend dürfte sein, was die indonesisch-niederländische Künstlerin Fiona Tan, eine der wichtigsten zeitgenössischen Medienkünstlerinnen, aus den Beständen des Agfa-Archivs im Museum Ludwig macht. Kisten von Werbefotos, mit denen der Fotohersteller die neuesten Kameras und Farbtechniken getestet und vermarktet hat, lagern dort und werden nach und nach erschlossen. Die Ergebnisse der Archiv-Besuche werden im Frühjahr 2019 parallel in den beteiligten Ausstellungshäusern gezeigt. 

 

Das Engagement und der Rückhalt, den die Fotografie in der Stadt durch die Bevölkerung und die Institutionen erfährt, sind enorm. Das allein reicht aber nicht aus, um Köln dauerhaft einen Platz auf der Weltkarte konkurrierender Fotostädte zu sichern. 2009 formulierte die Stadt im Kulturentwicklungsplan das Ziel, den »Standortfaktor Fotografie erkennen und stärken«. Das Erkennen kann angesichts der Vielfalt an Veranstaltungen, Räumen und Akteuren nicht schwer fällen. Nun geht es ums Stärken. Mit einem Budget von 150.000 Euro kann die Photoszene es monetär nicht mit ähnlichen Formaten wie der Fotografie-Biennale in Mannheim oder der Triennale in Hamburg aufnehmen, die über eine Million verfügen dürfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Stadt die Chance auf ein Alleinstellungsmerkmal verspielt. Am Potenzial mangelt es der Kölner Fotoszene jedenfalls nicht.